Erster Teil
Vorrede (von Jean Paul)
Diese Vorrede zu dem nachfolgenden Buche, um welche ich ersucht worden, kleid’ ich vielleicht mit Vorteil in eine Rezension ein, besonders, da die eigenen Vorreden der Verfasser ordentlicherweise nichts sind, als offene Selberrezensionen. Auch dem Hrn. Verfasser dieses Werks wird es gefallen, daß auf diesem Wege die Rezension fast noch früher – vielleicht um neun und mehrere Blätter früher – erscheint als das Buch selber, während andere Autoren Gott und den Literaturzeitungen schon danken, wenn die Rezensionen endlich eintreffen, nachdem die Bücher längst abgegangen, entweder mit Tod oder durch Absatz. Hier ist nun die Rezension selber abzuschreiben.
J e n a i s c h e
Allgemeine Literaturzeitung.
Dezember 1823.
Schöne Wissenschaften.
Fantasie-Stücke in Callots Manier.
Mit einer Vorrede von Jean Paul.
8°. Bamberg bei C. F. Kunz. 2 Teile.
Wir wollen die Verspätung unserer Anzeige nicht weitläufig entschuldigen, denn wer das Buch gelesen, dem hat sie nichts geschadet, und er bekommt jetzo nur zu seinem Urteile ein fremdes dazu; wer es aber nicht gelesen, kann nun froh sein, daß wir ihn zum Lesen bringen und zwingen. Deutsche Literaturzeitungen und Blätter dürften überhaupt etwas treuer das Gesetz im Auge haben, – wie Autoren mit der Herausgabe ihrer Werke, – ebenso mit der Anzeige zurückzuhalten, wenn auch nicht immer Horazische neun Jahre. Was das deutsche Publikum dabei gewinnt, weiß es selber am besten und schlägt die Verzugzinsen an. Gute Schriftsteller, die längst vergessen, lernt es kennen bei solcher Gelegenheit auf der kritischen Poste restante und vergißt sie nicht mehr; denn wenn nach D’Alembert das leichte Behalten der Verse ein Zeichen von deren Güte, so noch mehr das Behalten eines ganzen Buches in dem weniger eisernen als quecksilbernen Gedächtnisse des Publikums. Dieses läßt fast, wie Cicero von Cäsar rühmt, daß er nichts vergesse, außer Beleidigungen, auf eine ähnlich schöne Weise nichts so leicht aus dem Gedächtnis fahren als Bücher; eben als die wahren Beleidigungen, welche so viele hundert Schreiber jährlich zweimal dem Publikum antun. Überhaupt werden wenige Menschen so oft beleidigt als recht viele auf einmal; und ein Volk häufiger und gröber als dessen Fürst.
Um aber das Verspäten der Rezension nicht durch die Rechtfertigung desselben noch länger fortzusetzen, machen wir sogleich über den Titel die Bemerkung, daß er richtiger sein könnte. Bestimmter würde er Kunstnovellen1 heißen; denn Callots Maler – oder vielmehr Dicht-Manier herrscht weder mit ihren Fehlern noch, einige Stellen ausgenommen, mit ihren Größen im Buche. Der Verfasser hat selber im ersten Aufsatze am schönsten über diesen malenden Gozzi und Farben-Leibgeber gesprochen; und Callot scheint – wie Humor über dem Scherze – so über dem prosaischen Hogarth als poetischer Zerrbildner und romantischer Anagrammatiker der Natur zu stehen.
Unserem Verfasser dürfen wir ein Lob anderer Gattung erteilen. In seiner dunkeln Kammer (camera obscura) bewegen sich an den Wänden heftig und farbenecht die koketten Kleister- und Essigaale der Kunst gegeneinander und beschreiben schnalzend ihre Kreise. In rein ironischer und launiger Verkleinerung sind die ekeln Kunstliebeleien mit Künsten und Kunstliebhabern zugleich gemalt; der Umriß ist scharf, die Farben sind warm, und das Ganze voll Seele und Freiheit. Am dichtesten läßt der Verfasser seinen satirischen Feuerregen auf die musikalische Schöntuerei niederfallen, zumal in der trefflichen Nro. III. »Kreisleriana«. Da die Musik eigentlich die allgemeinste Kunst und Volks-Kunst ist, und jeder wenigstens singt, z.B. in der Kirche und als Bettler, die einzige ins Tierreich hinübersteigende – und da man diese Kunst, wenn man seine Kehle oder seine Finger bei sich führt, in jedem Besuchzimmer in jeder Minute auspacken kann, um durch seine Kunstausstellung auf eigne Hand die Preise aller derer zu gewinnen, welche Tee mittrinken, so ist keine Narrheit natürlicher, verzeihlicher und häufiger als die, daß die Gefallsucht, besonders die weibliche, ihre musikalischen Pfauenräder in Modestädten vor jedem schlägt, der Augen hat zu sehen, wie Kunst und Künstlerin zu einer Schönheit verschmelzen. Was den wahren Virtuosen, wie hier den Kapellmeister Kreisler, dabei so ingrimmig auf dieses Stuben-Chariwari macht, ist vielleicht weniger die Beleidigung der Kunst, als die des Künstlers selber, welchen man in vornehmen Residenzhäusern als Musikdirektor zum Platzkommandanten musikalischer Abc-Schützen anstellt. »Könnte man nicht«, denkt der zum Freudenmeister heruntergesetzte Musikmeister laut genug und schreibt es vielleicht hin, »ohne Kosten meiner Ohren vielen Hohen und Schönen schmeicheln? Und soll«, fährt er noch hitziger fort, »von weiblichen Paradiesvögeln den Männern noch das Kunstparadies entführt oder verspottet werden, und sie stellen sich dann als Engel davor und bewachen es treu? O Teufel und deren Großmutter!« beschließt er dann wild genug. Ein Künstler kann leicht genug – beispielshalber sei es unser Verfasser – aus Kunstliebe in Menschenhaß geraten und die Rosenkränze der Kunst als Dornenkronen und Stachelgürtel zum Züchtigen verbrauchen. Inzwischen bedenk' er doch sich und die Sache! Die durch Kunstliebe einbüßende Menschenliebe rächt sich stark durch Erkältung der Kunst selber; denn Liebe kann wohl der Meßkünstler, Denkkünstler, Wappenkünstler entbehren, aber nicht der Künstler selber, er sei einer, in welchem Schönen er's wolle. Liebe und Kunst leben gegenseitig ineinander wie Gehirn und Herz, beide einander zur Wechselstärkung eingeimpft. Manches jetzige Kunstpantheon ist deshalb ein durchsichtiger, reiner, blinkender Eispalast – mit allen erdenklichen Gerätschaften aus Eis versehen – sogar mit einem Brautbett und Ofen, in welchem letzten gar ein Naphthaflämmchen ohne Schaden der Eiskacheln brennt.
Wir kehren zu unserem Verfasser, den wir mit dem Vorigen nun sattsam geärgert, und zu seinem Zorne über die schreienden Sünden an der Tonkunst zurück und gehen mit ihm zu den stummen der Leibkunst der neueren historischen und mythologischen Gliedermänninnen über, welche ihre Figur zu einem Wachsfigurenkabinett auseinander zu prägen wissen, um ihre Leiber noch vor der Auferstehung zu verklären. Gegen solche, insofern sie den Zaubershawl nur zu Schminklappen verwenden und die Schöpferin mit dem Geschöpfe anputzen, ist der Herr Verfasser in Nro. V. gut genug auf- und losgefahren. Sein Feuereifer gegen gemißbrauchte Kunst ist recht; das Schöne und Ewige sei nie Schminke des Unschönen und Zeitlichen, und das Heiligenbild verziere keinen unheiligen Körper. Der Gefallsucht verzeiht man lieber eine schöne Flucherin, als eine schöne Beterin, denn mit dem Teufel kann man spaßen, aber nicht mit Gott.
Nicht ohne Vergnügen haben wir auch in diesem Werke wieder wahrgenommen, daß seit einigen Jahrzehenden die deutsche Satire und Ironie und Laune, ja der Humor häufiger den britischen Weg einschlägt, und daß Swifts und Sternes herübergetragne Loretto-Häuschen oder Studierzimmer zu Gradierhäusern unsers komischen Salzes geworden. Den jetzigen Salzgeist, auch in den Flug- und Tagblättern, in den Aufsätzen des »Morgenblattes«, der »eleganten Zeitung«, der »Heidelberger Jahrbücher«, der Literaturzeitungen etc. würden wir schwerlich gegen die breiten dicken Salzpfannen der Bahrdte mit ihren Ketzeralmanachen, der Kriegsrat Kranze, der Vademekumer, der Wetzel, der allg. deutsch. Bibliothekare u.s.w. vertauschen wollen. Aber natürlicherweise ist das Lichten des komischen Stils darum noch nicht zugleich Anwuchs des komischen Witzes.
Bei Nro. V. »Nachricht von den neuesten Schicksalen des Hundes Berganza«, merkt der Herr Verf. bloß an, daß er eine Fortsetzung der beiden Hunde Scipio und Berganza in Cervantes’ Erzählungen gebe. Er gibt etwas Gutes, und seinen Hund benützt er zum Gespräche mit einem Menschen, oft humoristischer als selber Cervantes. Sein Hund fällt, richtig geleitet und angehetzt, tief genug in die verschiedenen Waden der Schauspielherren (Regisseurs), welche den Dichter verstümmeln, um die Spieler (ja die Hörer) zu ergänzen, und die an ihren Gestalten, wie die Türken von den Bildsäulen, die Nasen abschlagen, damit sie nicht lebendig werden. Wer nicht verlängern könnte, sollte nicht zu verkürzen wagen: kaum ein Goethe würde Schillern durch Nehmen zu geben suchen: hingegen die Verschnittenen der Kunst verschneiden keck die Künstler und lassen unverschämt die Bühne zwischen Kanzel und Pranger des Genius wechseln. Wir gestehen, wären wir selber Trauer- oder Lustspielschreiber, ärger als jeden Nachdrucker würden wir theatralische Umdrucker und Sabbatschänder unserer heiligsten Sonntags- und Musenstunden verfolgen und beschimpfen, mit welchen letzten wir so schön und wohltuend auf die Nachwelt in Parterre und Paradies einzugreifen rechnen gedurft.
Höflich wär’ es vom Herrn Verfasser gewesen, wenn er die Anspielungen auf Cervantes’ Erzählung, wenigstens nur mit einer Note, hätte erklären wollen. Aber Verfasser sind jetzo nicht höflich. Denn weil Goethe zuweilen seine Mitwelt für eine Nachwelt ansieht, um deren künftige Unwissenheit sich ein Unsterblicher nicht zu bekümmern braucht, so wie Horaz sich nicht ad usum Delphini mit notis variorum ans Licht stellte – so wollen ihn die übrigen Goethes (wir dürfen ihre Anzahl rühmen) darin nichts zuvorlassen, sondern tausend Dinge voraussetzen, wie z. B. Tieck die nötigsten Erklärungen in seinem altdeutschen Roman: »Frauendienst«. Überhaupt ist man jetzo grob gegen die halbe Welt, wenn anders die Lesewelt so groß ist; Verzeichnisse des Inhalts – (oft der Druckfehler) – Kapitel – erläuternde Noten – Anführungen nach Seitenzahlen – Registerfache ohnehin – auch Vorreden (z. B. diesem Buche) und Absätze (wie hier) fehlen neuerer Zeiten gewöhnlich, und der Leser helfe sich selber, denn sein Autor ist grob.
Da die Grenzen des Instituts jedes ausführlichere Urteil uns verbieten, so tragen wir nur flüchtig das Nötigste nach. Nach dem gewöhnlichen kritischen Herkommen, welchem zufolge der namenlose Rezensent den Namen jedes Autors anzugeben hat, der seinen verschwiegen, berichten wir denn, daß der Herr Verfasser Hoffmann heißt und Musikdirektor in Dresden ist. Kenner und Freunde desselben und die musikalische Kenntnis und Begeisterung im Buche selber versprechen und versichern von ihm die Erscheinung eines hohen Tonkünstlers. Desto besser und desto seltener! denn bisher warf immer der Sonnengott die Dichtgabe mit der Rechten und die Tongabe mit der Linken zwei so weit auseinander stehenden Menschen zu, daß wir noch bis diesen Augenblick auf den Mann harren, der eine echte Oper zugleich dichtet und setzt.
Weiter hinzuzutun haben wir schließlich nichts, als daß die Vorrede zum Buche von fremder, indes bekannter Hand gefertigt worden; doch wollen wir über sie aus Rücksichten, welche jeder Zarte von selber errät, nichts sagen, als nur dies: Die Manier ihres Verfassers ist bekannt genug.
Frip
Auch ich weiß nichts weiter hinzuzutun, als den Wunsch, daß ich möge eine solche Vorrede geliefert haben, wie Frip eine Rezension; und dann kann die Welt zufrieden sein. Ihr und mir wünsch’ ich noch die versprochene baldige Fortsetzung in Callots kühnster Manier.
Baireuth, den 24. Nov. 1813.
Jean Paul Friedr. Richter
1
Doch spielt Nr. VI. »Der Magnetiseur«, in einem andern Gebiete; eine mit kecker Romantik und Anordnung und mit Kraftgestalten fortreißende Erzählung.