Arkadienweg: Neustädtlein – Braunstein – alter Markgrafenweg – Alladorf
Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern
Teile dieser Etappe liefen wir im Prinzip schon ganz oft, schon lange bevor wir den Jean-Paul-Weg entdeckten, denn der bequeme Weg über die Höhen ist zum Niederknien. Dieses Mal sind wir sie am Mittwoch, den 17. Oktober 2012 gelaufen. Von Neustädtlein aus geht es an Ackerflächen entlang eine ganze Weile bergan. Die Steigung bleibt sanft. Blicke zurück lohnen sich immer. Verträumt liegt nun das kleine Dorf im Tal, umhangen von letzten Nebelwolken.
Dann dürfen wir wieder in das Zauberreich eines dunklen Hohlweges treten. Ein Zauberreich, in dem alle Geschöpfe der vergangenen Jahrhunderte, die hier einmal wandelten, uns heute begegnen. Jedes, ob mit Kummer beladene oder voll Hoffnung entgegenschwebende. Jedes Geschöpf trägt uns mit hinauf zur lichten Höhe, damit wir sehen, wohin unsere Reise gehen wird, auch wenn der Weg sich gerade verfinstert. »Ich bleibe an deiner Seite«, lautet ihre mächtige Zauberformel.
Und Stationstafel 149 reicht uns immerzu zärtlich ihre Hand.
Trost
Komm, liebe müde Seele, die du etwas zu vergessen hast, entweder einen trüben Tag oder ein überwölktes Jahr, oder einen Menschen, der dich kränkt, oder einen, der dich liebt, oder eine entlaubte Jugend, oder ein ganzes schweres Leben; und du, gedrückter Geist, für den die Gegenwart eine Wunde und die Vergangenheit eine Narbe ist, komm in meinen Abendstern und erquicke dich mit seinem kleinen Schimmer, […]
Jean Paul »Hesperus«
Das Ziel meiner literarischen Eintagsfliegen ist: den Menschen Ruhestätten zu zeigen schon vor der tiefsten, sie mit den Toren zu versöhnen auf Kosten der Torheit, ihnen in der Wüste Blumen, an Pedanten Freunde, am Hof Tugenden, im Schmerz die Seligkeit, in der Armut einen ebenso großen Reichtum, und sogar in diesem einen, und auf der ganzen Erde zwei Himmel zu zeigen, einen jetzigen und einen künftigen.
Ich träumte in der Weihnachtszeit, ich wanderte durch die Tiefen des Himmels und sah einen Engel über Wolken gehen. Die Lichtgestalt lächelte und trat zu mir und sagte: »Kennst du mich? Ich bin der Engel des Friedens. Ich tröste die Menschen und bin bei ihnen in ihrem großen Kummer. Wenn er zu groß wird, wenn sie sich auf dem harten Boden der Erde wundgelegen haben, so nehme ich ihre Seelen in mein Herz und trage sie zur Höhe und lege sie auf die weiche Wolke des Todes nieder. Alle diese Wolken ziehen mit ihren Schläfern gen Morgen, und wenn die Sonne aufgeht, erwachen sie und leben.«
Jean Paul »Die unsichtbare Loge«
Wenn der Kummer zu groß wird, zu groß wird. Kummer zu groß wird. Dann entsteigt man seinem Lebensreise-Raumschiff ins wärmeverheißende Schwarz des Weltalls aus Nicht-mehr-Sein. Da sehe ich in der Ferne Jean Paul, er reicht mir eine Hand, die ich ergreifen kann. Er bettet mich auf einer Wolke und deckt mich zu. Die Reise zum Morgen beginnt, fliegend, an all meinen Seiten begleitet von anmutigen Schimmeln, so behänd und voller Treue und Kraft.
Langsam erreichen wir die Höhe. Erste Ausblicke eröffnen sich. So viel Grün auf so vielen weiten Wiesen an diesem herrlichen Herbsttag!
»Guck mal, Peter«, jauchze ich, »fast wie in Irland!« Ich war noch nie in Irland.
Später entdecken wir am Rand eines Wäldchens den »Braunstein«. Er ist ein Gedenkstein. Von ihm ist auf der nächsten Landschaftstafel 23 die Rede.
Der Braunstein
Dieser Stein steht an einem Weg, der seinerzeit den Rang einer hoheitlichen Straße besaß und der sich an dieser Stelle als Hohlwegbündel den Hang des Vogelhanges nach Eschen hinunterzieht. Die Dichterfreunde Wackenroder und Tieck konnten ihn auf ihrer »Pfingstreise« 1793 beim Vorbeireiten ebenso wenig sehen wie der Dichter Jean Paul bei seinen Ausflügen nach Sanspareil, denn er war zugewachsen.
Der »Braunstein« wurde im Jahre 1702 gesetzt, und zwar für den Bürgermeister Hans David Braun, der aus Wonsees stammte und hier am 22. Februar 1702 unversehens vom Schlag getroffen wurde. An seinem Todestag war er »in Spitalverrichtungen« nach Tannfeld unterwegs, starb also sozusagen auf einer Dienstreise auf einer damaligen »Staatsstraße«.
Der schön renovierte Stein ist einige Meter von hier gut zu entdecken, aber vielleicht immer noch schwer zu entziffern, daher hier der Wortlaut in der altertümlichen Rechtschreibung. (Anm. meinerseits: Bis weit in die Mitte des 18. Jahrhunderts kann man noch von überhaupt »keiner« Rechtschreibung sprechen. Mit anderen Worten, jeder schrieb, wie er wollte oder so, wie er glaubte, dass es richtig sei. Siehe auch wikipedia zu diesem Thema.) Auf der Rückseite lesen wir die Klage der trauernden Witwe und danach den Trost, den der Verstorbene der sorgenden Frau zuspricht.
Inschrift auf dem Braunstein:
»Mein Wanderer stehe still
beschaue diesen Stein
und liß die schWartze Schrifft.
denckstu Was mag es seyn,
so Wiße, daß hier ein Trauer fall geschehen
Herr Bürgermeister Braun
ist hier am schlag erblast,
im augenblick Ward er lebhafft und Tod gesehen
da er die Straße reist, Ward er der Welt entrißen,
nun muß durch solchen fall
ihn hauß und Rathauß missen,
doch Wohl, Weil Gottes Schos ihn eWiglich umfast.
Mein leser denck hierbey auch an dein lebens Ende,
Wer Weiß, Wo Jeder noch,
den letzten Abschid nimbt
befihl, in dem du gehst,
die Seel in Gottes hende,
Gott hat auch deinen Todt
an seinen Ort bestimmt.«
So geschehen den 22. Feb:A(nno) 1702.
Sobald folgt Stationstafel 150.
Sind wir nur Gottes Handschuh?
Das Dasein Gottes beweisen sowie bezweifeln heißt,
das Daseins des Daseins beweisen oder bezweifeln.
Verzweiflung ist der einzige echte Atheismus.
Der Ungläubige an die Menschheit wird ebenso oft betrogen,
als der Gläubige an die Menschheit.
Eine Religion nach der anderen lischt aus,
aber der religiöse Sinn, der sie alle erschuf,
kann der Menschheit nie getötet werden;
folglich wird er sein künftiges Leben
nur in mehr geläuterten Formen beweisen und führen.
Tun unsere Hände nicht,
sondern die göttliche Hand durch unsere:
so sind wir nur Gottes Handschuhe.
Es ist beinahe nicht so nötig,
zur Religion zu erziehen als zur Heiterkeit.
Bei dieser Stationstafel stehen zwei Menschen und lesen. Wir freuen uns über diese Art Begegnung, denn das passiert sonderbarerweise so selten auf diesem Weg. Wir warten, bis sie weiterlaufen und verweilen ein wenig bei der Tafel. Die Stimmung ist so still. Das Getriebe des Sommers scheint sich zu legen.
Ich höre einen Specht hämmern. Er klingt so nahe. Da denke ich, heute nehme ich mir die Zeit, ihn zu suchen, um ihn auch einmal sehen zu können. Lange muss ich zwischen den Baumwipfeln hin und her schauen. Habe Angst, dass er fortfliegt. Aber ich höre ihn immer wieder, er ist noch da! Dock, dock, dock, dock, dock … Er kann nicht weit weg sein. Und dann entdecke ich ihn tatsächlich. Als Silhouette zwischen Kiefernzweigen. Ja, jetzt höre und sehe ich ihn. Er ist der erste Specht meines Lebens, dem ich auch beim Hämmern zusehen kann.
Nun kommen wir zur großen Hochebene. Luft liegt opalfarben über den gepflügten Feldern. Auf den Furchen lassen sich erste Saatkrähen nieder. Vor uns liegt nun eine der schönsten Aussichten dieser Gegend bis zum Tafelberg der Neubürg.
Weit schauen zu dürfen, bereitet Entspannung. Der Brustkorb weitet sich und man atmet tief hinein. So wohltuend sind gute Aussichten.
Hier steht Stationstafel 151 neben uns, als »Das Menschen-Ich«.
Das Menschen-Ich
Es gibt schauerliche Dämmeraugenblicke in uns, wo uns ist, als schieden sich Tag und Nacht – als würden wir gerade geschaffen oder gerade
vernichtet – das Theater des Lebens und die Zuschauer fliehen zurück, unsre Rolle ist vorbei, wir stehen weit im Finstern allein, aber wir tragen noch die Theaterkleidung, und wir sehen uns darin
an und fragen uns: »Was bist du jetzo, Ich?« – Wenn wir so fragen: so gibt es außer uns nichts Großes oder Festes für uns mehr – alles wird eine unendliche nächtliche Wolke, in der es zuweilen
schimmert, die sich aber immer tiefer und tropfenschwer senkt – und nur hoch über der Wolke gibt es einen Glanz, und der ist Gott, und tief unter ihr ist ein lichter Punkt, und der ist ein
Menschen-Ich. –
Jean Paul »Siebenkäs«
Der innere Mensch wird, wie der Neger, weiß geboren, und vom Leben zum schwarzen gefärbt. […] wie nach den ältern Theologen nur die erste Sünde Adams, nicht seine andern Sünden auf uns forterbten, da wir mit einem Falle schon jeden andern Fall nachtaten: so bewegt der erste Fall und der erste Flug das ganze lange Leben. Denn in dieser Frühe tut der Unendliche das zweite Wunder; Beleben war das erste. Es wird nämlich von der menschlichen Natur der Gottmensch empfangen und geboren; so nenne man kühn jenes Selberbewußtsein, wodurch zuerst ein Ich erscheint, ein Gewissen und ein Gott – und unselig ist die Stunde, wo diese Menschwerdung keine unbefleckte Empfängnis findet, sondern wo in derselben Geburtminute der Heiland und sein Judas zusammentreffen. Man hat diese einzige Zeit, auf die Umgebungen und Früchte derselben noch zu wenig gemerkt. Es gibt Menschen, die sich tief bis an die Grenzstunde hinein besinnen, wo ihnen zum erstenmal das Ich plötzlich aus dem Gewölke wie eine Sonne vorbrach und wunderbar eine bestrahlte Welt aufdeckte.
Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«
Wir gehen diesen alten Markgrafenweg gerne im Herbst oder im Winter, denn hier oben scheint die Sonne noch lange, während es in den Tälern schon kalt und finster wird. Mehr über diesen schönen Höhen-Weg erfahren wir endlich auf der kommenden Landschaftstafel 24.
Der alte Markgrafenweg
(Zwischen »Pfarrhügel« und Alladorf)
Die Straße über die steinige Höhe ist alt. 1692 beschreibt Magister Will in seinem Teutschen Paradeiß (über ihn haben wir schon etwas in der 13. Etappe erfahren) Alladorf an der Landstraße, »die von Bayreuth nach Bamberg gehet«. 1720 wird sie auf der Karte des Amtes Zwernitz von Johann Georg Dülp als »Chemin de Bayreuth« (Straße nach Bayreuth) bezeichnet. 1742 bestätigt eine Urkunde die Strecke zwischen Alladorf und Vogelherd in einer Grenzbeschreibung als »Alladorfer Straß, so gen Bayreuth gehet«. Die örtliche Überlieferung kennt den Weg von Bayreuth über Eschen, Alladorf und Kleinhül nach Sanspareil als Markgrafenweg, der wohl auch mit Kutschen befahren wurde. So ist er jedenfalls auf einer Radierung von Johann Thomas Köppel zur Fertigstellung des Lustgartens 1748 illustriert.
Und 1796 erzählt Friedrich Philipp Wilmsen von einer Reise nach Sanspareil auf dieser sonst wegen ihrer vielen Steine schlecht beleumundeten Straße: »Die Hekken von Schlehdorn, welche hier überall die Felder umzäunen, geben ihnen in dieser Jahreszeit durch ihre schönen wolligten Blüthen einen ganz eigenen Reitz. Man kommt auf dem ganzen Wege nur durch ein einziges Dorf, Annendorf [=Alladorf], und die Lage dieses einen ist überraschend schön …«
Unter letzten Sonnenstrahlen erreichen wir Alladorf, das Ziel unserer heutigen Etappe. Fidel will noch einmal sonnenbaden und wittert auf den Wiesen vermutlich erste Mäuse, die den selben Plan haben. So schnuppert er sich durch goldleuchtende Gräser und wir freuen uns an der lustigen Pudelsilhouette vor untergehender Sonne.
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