Arkadienweg: Oberwaiz – Teufelsloch – Waldhütte – Neustädtlein
Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern
Gewandert sind wir diese Etappe am Samstag, den 13. Oktober 2012. Da lebte Fidel noch. Endlich kann ich wieder Etappen schreiben, bei denen Fidel dabei war. Mit ihm ist nicht nur das Wandern, sondern auch das Schreiben schöner.
Es ist herrliches Herbstwetter, zwanzig Grad. Dieser Oktober ist eher ein Spätsommer, als ein Herbst. Wir fahren mit dem Auto nach Oberwaiz, da beginnt die heutige Etappe. Unterwegs kaufen wir uns noch schnell etwas zu essen, denn wir kennen ein klassisches Frühstück mit Am-Tisch-Sitzen fast überhaupt nicht. Bei unseren Berufen lebt man ohne Pausen, immer in Bereitschaft, Hauptmahlzeiten nur spät abends nach »Dienstschluss«, wann immer das auch sein mag. Hunger wird verschoben, so lernt man das. Also schieben wir auch heute unser Frühstück rein. Hauptsache »schieben«. Beim Bäcker gab es griechische Pizza. Die ist so saftig, dass sie beim Essen »aus allen Löchern« tropft.
Von Daunenfein und Gunda
Noch während wir uns im Laufen an der Pizza abarbeiten, kommen wir an einem Garten vorbei, in dem ich zwei Gänse erblicke und einen Gockel. Ja, Prachtgockel muss man dazu sagen! So groß und stolz ist er. Aber die Tiere stehen irgendwie ganz seltsam still, fast schon unbeweglich wie Gartenzwerge auf der Wiese.
Ich zu Peter: »Fotografier doch mal die Gänse da!«
Peter drückt mir seine Pizza in die Hand und greift nach der Kamera, die er schußbereit um den Hals trägt. Jetzt erst entdeckt er, dass der Kamerasucher gänzlich vollgetropft ist. Peter flucht ohne Ende.
Ich versuche einen blöden Witz: »Also Fotos kannste machen, essen nich.«
Peter: »Ich brauch was zum Abwischen!«
Ich drücke ihm nicht nur wieder seine, sondern auch meine Pizza in die Hand und krame und wurschtele im Rucksack, bis ich endlich ein paar Tempos finde, da kommen die Hausbesitzer, so vermute ich, in ihren Garten. Sie sind wohl Mitte fünfzig. Irgendwie bewegen sie sich langsamer als andere Menschen und bleiben direkt neben uns am Zaun stehen. Wir sabbern, kramen, tropfen und schniefen. Dann, es war wohl so eine Art Übersprungshandlung, frage ich das Paar:
»Sind die Gänse da lebendig? Die stehen so still?«
»Ja, ja«, antworten sie, »die sind schon sechs Jahre alt. Das da sind Hühner, Brahmas. Die sind so groß, ne ganz alte Rasse, von einem Züchter aus Bayreuth.«
Ich: »Wie heißen die denn?«
Sie: »Der Hahn, das ist der Zeus und die beiden Hühner sind Hera und Lara. Das ist das kleinere Hühnchen da.« Sie zeigt mit dem Finger.
Er: »Die Gänse? Das ist der Dauni, wie Gans Daunenfein aus dem Nils-Holgersson-Film, mit seiner Frau, der Gunda. Aber seit der Fuchs da war, legen sie keine Eier mehr und brüten auch nix mehr. Aber des glaubens net, der Dauni hat den Fuchs aber gebissen und vertrieben! Die beißen ganz schön. Große blaue Flecken kriegt man da. Unseren Sohn Jan und den Schwiegervater, die haben sie auch schon gebissen. Ich darf sie sogar tragen.«
Sie: »Einen Hund hatten wir auch, der war sechzehn, und Zwergziegen. Eigentlich hätten wir auch gern mal ein Wollschwein.«
Er: »Drei Katzen hammer immer noch und früher mal 70 Kaninchen. Die zwei Alten leben noch, die sind vom Sohn.«
Sie: »Der Kindergarten kommt öfter vorbei, zum Füttern. Is schon schön, da braucht man keinen Fernseher mehr.«
Er: »Mir ham das Grundstück als ein Mischgrundstück eintragen lassen, wissens, dass sich keiner beschweren kann, wegen der Viecher und so.«
Dann begleiten uns die beiden ein Stück des Weges. Früher wären sie jeden Tag hier gelaufen, erzählen sie weiter, da wären sogar die Ziegen mitgegangen. Fürwahr, der Weg direkt neben ihrem Haus gleicht einem Idyllenreich. Ein schmaler Hohlweg träumt sich zwischen moosigen Felsen und alten Buchen, Saumpfad für Verliebte, Faune, Gnome und Fabelwesen.
Nun, wir kennen »Hohlwege« schon, und dass sie stetig ausgetreten wurden, weil über die Jahrhunderte Mensch und Tier und Wagen über sie gezogen sind. Könnten wir jetzt zeitreisen, oder sähe man alle dagewesenen Wesen kumuliert in einem Bild, wären wir alle soeben gar nicht allein, könnten grüßen, winken, plappern, tragen helfen, würden vielleicht ein Stück in der Kutsche mitgenommen, würden Lieder singen oder streiten. So viel Leben auf den Wegen. So viele Begegnungen. Und auch mit Jean Paul und seiner Stationstafel 141 »Feierabend im Pfarrgarten«.
Feierabend im Pfarrgarten
Niemand übrigens wundere sich über ein Idyllenreich und Schäferweltchen in einem kleinen Dörfchen und Pfarrhaus. Im schmalsten Beete ist ein Tulpenbaum zu ziehen, der seine Blütenzweige über den ganzen Garten ausdehnt; und die Lebenluft der Freude kann man aus einem Fenster so gut einatmen als im weiten Wald und Himmel.
Jetzo fing das Leben in dem, nämlich unter [dem] Himmel an. Die Morgen glänzen mir noch mit unvertrocknetem Tau, an welchen ich dem Vater den Kaffee in den außer dem Dorfe liegenden Pfarrgarten trug, wo er im kleinen nach allen Seiten geöffneten Lusthäuschen seine Predigt lernte, so wie wir Kinder den Lange (Joachim Lange: Verbesserte und Erleichterte Lateinische Grammatik) später im Grase.
Der Abend brachte uns zum zweiten Male mit der Salat brechenden Mutter in den Garten vor die Johannis- und die Himbeeren. Es gehört unter die unbekannten Landfreuden, daß man abends essen kann ohne Licht anzuzünden. Nachdem wir diese genossen hatten, setzte sich der Vater mit der Pfeife ins Freie, d. h. hinaus in den ummauerten Pfarrhof, und ich samt den Brüdern sprang im Hemdtalare in der frischen Abendluft herum und wir taten als seien wir die noch kreuzenden Schwalben über uns und wir flogen behend hin und her und trugen etwas zu Nest.
Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«
Wenn wir Menschen, heute in unserer digitalen Welt, in unserer, der Natur so fernen Welt, uns nach analogen und natürlichen Erlebnissen zurücksehnen, und sie deshalb auch wieder wertschätzen, wieso war für Jean Paul, der ausschließlich in analogen und natürlichen Welten lebte, seine eigene erlebte Welt so wichtig, dass er sie aufschrieb, sie im Besonderen erwähnte, sie schilderte als das alles Seligmachende?
Er hatte doch im Überfluss von dem, das wir fast gar nicht mehr haben. Wie knarzende Treppen, rußende Feuerstellen, glühende Herde, Eisblumen an Fensterscheiben, Schwalben, die in der Dämmerung ihre Flugkünste feiern, Feierabende am Dorfbrunnen, Misthaufen im Hof, Kartoffelfeuer, beruhigendes Muhen aus dem Kuhstall. Als wollte Jean Paul es aufschreiben für uns heute, für die Menschen, die Jahrhunderte später all das selbst nicht mehr hören, sehen, riechen, fühlen – und somit auch nicht mehr aufschreiben – können. Bald wird es niemand mehr aus seiner eigenen Erinnerung aufschreiben.
Der Weg bleibt noch eine Weile so verwunschen. Immer wieder leuchten Fliegenpilze mit ihren roten Kappen aus dem Unterholz. Und braune Pilze, die wir nicht kennen, wachsen in munteren Grüppchen am Wegesrand.
Und Stationstafel 142.
Im Dom der Natur
Vier Priester stehen im weiten Dom der Natur
und beten an Gottes Altären, den Bergen,
– der eisgraue Winter
mit dem schneeweißen Chorhemd
– der sammelnde Herbst mit Ernten unter dem Arm,
die er Gott auf den Altar legt
und die der Mensch nehmen darf
– der feurige Jüngling, der Sommer,
der bis nachts arbeitet, um zu opfern
– und endlich der kindliche Frühling
mit seinem weißen Kirchenschmuck von Blüten,
der wie ein Kind Blumen und Blütenkelche
um den erhabenen Geist herumlegt
und an dessen Gebete alles mitbetet,
was ihn beten hört.
– Und für Menschenkinder ist ja der Frühling der schönste Priester.
Jean Paul »Die unsichtbare Loge«
Und bald schon steigen wir in die Schlucht des Teufelsloches. Auf schmalen Pfaden tänzeln wir mal links herum, mal rechts herum, zwischen zerfurchten Sandsteinfelsen hindurch. Hier und da versperrt eine umgestürzte Fichte den Weg, und wir müssen klettern. Fidel ist amüsiert, wie immer, wenn die Wege weich, klein, eng, niedrig, kurvig und spannend sind. Gut gelaunt hüpft er mit seinem rechten Hinterbeinchen wie ein Schulkind. Das macht er immer, wenn er von der Leine darf und es ins Grün geht. Am Anfang, als wir Fidel bekamen, war ich erschrocken und dachte, er hätte etwas an der Pfote. Es stellte sich heraus, dass es sich um einen kleinen, jedoch harmlosen orthopädischen Defekt handelt, der uns nun durch Fidels Ausgleichshüpfen zur Heiterkeit verführt.
Das Teufelsloch ist eine ein Kilometer lange Schlucht und bietet alles, was ein Familienausflug mit Kindern benötigt. Da wäre zum Beispiel ein guter Schuss des Lebensmittels »Abenteuer«, denn nach jedem Unwetter warten hier Überraschungen. Wasserfälle können da sein, wo sie vorher nicht waren, umgestürze Bäume zeigen ihr Wurzelreich, in dessen Gewirr sich sehr gerne Waldwichtel versteckt halten. So manch’ dunkle Höhlenlöcher verlangen Mut, in sie hineinzusteigen. Wer allerdings Angst vor dreckigen Schuhen hat, sollte auf den Forstwegen bleiben.
Jene, deren Herz aber kühn schlägt, wappnet Stationstafel 143 mit unbesiegbarem Geist.
Furcht, Mut und Hoffnung
Bloß heftige Phantasie, nicht Mangel an Mut, schafft die Geisterfurcht.
Nichts steckt leichter an, als Furcht und Mut; nur daß die elterliche Furcht sich am Kinde gar verdoppelt; denn wo schon der Riese zittert, da muß ja der Zwerg niederfallen.
Mut besteht nicht darin, daß man die Gefahr blind übersieht, sondern, daß man sie sehend überwindet.
Recht viele Erzählungen von siegendem Mut sind Stärkemittel.
Der Furchtsame erschrickt vor der Gefahr, der Feige in ihr, der Mutige nach ihr.
In jedem Fall ist Hoffen besser als Fürchten. Wer hofft, hat schon gesiegt und siegt weiter.
Die Hoffnung lässt uns mehr Verstand und Glück übrig als die Furcht.
Nur um den Einsamen schleichen Gespenster.
Die reisenden Eheleute denken unterwegs, wie jetzt zu Hause Geister in ihrer Gestalt ihr Leben nachäffen.
Nicht Menschen, sondern Sitten sind zu fürchten, nicht das fremde Ich, sondern das eigne.
Nichts in uns schützt uns gegen Furcht einer geheimen gräulichen Welt – deren Kräfte und Bosheiten gar nicht zu berechnen sind – selbst keine Standhaftigkeit, sondern nur Bewußtsein des moralischen Werts: damit können wir Teufeln trotzen, ja Gott, wenn es kein Widerspruch wäre.
Jean Paul – vieles davon aus der »Levana«
Uns hatte Fidel Mut gemacht. Dank seiner Stärkung wagten wir es, jenen Graben des Grauens zu überqueren, um uns alsbald inmitten dieses dunklen, wilden, fast pfadlosen Naturschutzgebietes wiederzufinden.
Auch von dieser »furchteinflößenden« Schönheit wussten wir während unseres 25-jährigen Lebens in Oberfranken nichts. Nein, wir sind immer ahnungslos an ihr vorbeigefahren, ganz nah, wie wir jetzt wissen. Dabei lieben wir Wandern so sehr, und von solchen, herausfordernden Wegen träumen wir immerzu. Und kein geringerer als Jean Paul – natürlich waren es die Wegplaner – führte/n uns nun hierher. In das noch unerahnte »Idyllenreich«.
Zwischen Bäumen und Zweigen hindurch erkennen wir dann eine hohe Sandsteinbrücke. Sie verkündet das Ende des Grabens und hilft uns mit einem Aufstieg wieder aus ihm hinaus.
Zurück im Licht, erzählt uns Stationstafel 144 ein wenig über Teufel und Höllen.
Im Teufelsloch
Wie wir Teufel leichter als Götter malen, Furien leichter als die Venus Urania, die Hölle leichter als den Himmel, so glauben wir auch leichter jene als diese, leichter das größte Unglück als das größte Glück: wie sollte nicht unser an Fehlschlagungen und Erdenketten gewöhnter Geist über ein Utopien stutzen, an dem die Erde scheitert, damit die Lilien derselben […] das Ufer zum Blühen finden, und das die gequälten Menschen errettet und befriedigt und erhebt und beglückt?
Jean Paul »Das Kampaner Tal«
[…] weil der Teufel schleppt ordentlich meinem frömmsten Wachen und Wandel zum Trotze mich im Schlaf Niederliegenden an die sündlichsten Träume
hineinschleppt – […]
Jean Paul »Der Komet«
Und die Landschaftstafel 21 »Naturschutzgebiet Teufelsloch« etwas über das Teufelsloch an sich.
Naturschutzgebiet Teufelsloch
(Brücke Teufelsloch)
Das Teufelsloch (auf der Strecke zwischen Oberwaiz und Waldhütte, Gemeinde Eckersdorf) ist uralt und war bereits im 19. Jahrhundert ein beliebtes Ausflugsziel. Seit 1941 ist es Naturschutzgebiet.
Die beiden Felswände des Teufelslochs bildeten einst ein Stück. Sie gehören zum Wall des Rätsandsteins (oder Keuper), der heute noch den Bayreuther Talkessel umsäumt. Das schmale Bächlein, das durch die Felstrümmer des Teufelslochs fließt, hat sich vor Jahrmillionen in die Mulde des einst kompakten Steins gearbeitet und dafür gesorgt, dass sich Felsblock um Felsblock aus der allmählich entstehenden Talwand herauslöste. Das Abgleiten der Gesteinsschichten wird durch die wasserundurchlässigen und rutschigen Tonlager der Lettenschichten begünstigt. Und die Natur arbeitet weiter …
Heute führt der schmale Pfad von der Teufelsbrücke steil hinab – über Moose, Farnkräuter, Fichtenwurzeln und -sämlinge und sogar den seltenen Tannenbärlapp (sonst nur im Fichtelgebirge zu finden).
Abenteuerlich säumen Teufelskanzel, Teufelssteg, Teufelsbad (ein Tümpel), Teufelsklamm und das enge »wahrhaftige Teufelsloch« die Felsschlucht Richtung Oberwaizer Forst. Auf der anderen Seite der Teufelsbrücke ziehen Bächlein und Schlucht etwas offener in Richtung »Aftergraben«.
Den »Aftergraben« (»After« hier im Sinne von »nachfolgend«), eine weitere kleine Schlucht mit schönem Wasserfall, lassen wir wortwörtlich links liegen und folgen weiter dem Jean-Paul-Weg, jetzt auf breitem, eben verlaufendem Forstweg, der sich zugleich auch als Baumlehrpfad entpuppt. Es geht nun drei Kilometer durch den Limmersdorfer Forst.
Unterwegs finden wir auch eine Landschaftstafel 22 mit dem Titel »Der wildromantische Lettenwinkel«, die auf eine Stelle etwas abseits des Weges weist.
Der wildromantische Lettenwinkel
(zwischen Teufelsloch und Waldhütte)
Die Felsen im sogenannten Lettenwinkel umrahmten schon zu Jean Pauls Zeiten eine romantische Waldlichtung. Er verdankt seinen Namen jedoch nicht den alten Letten, die hier niemals siedelten, oder den Lettenschichten (Tonschichten), die in dieser Gegend vorkommen, sondern den Angehörigen der Labor-Service-Einheit der US-Army, die aus Lettland stammten, nach 1945 im nahen Forst stationiert und vor allem mit Wachaufgaben betraut waren. Die Soldaten haben ihre Spuren in den Namens-Inschriften in der Rätsandsteinkante hinterlassen, vor allem aber in einer Teufelsfratze, die auf das nahe Teufelsloch verweist: »Velna Ala«: diese lettische Inschrift bedeutet einfach »Teufelsloch«. Der kleine Abstecher dorthin, etwa auf der Mitte der Forststraße Teufelsloch bis Waldhütte, lohnt sich …
Wir sind nicht bis zum Lettenwinkel gekommen. Wir wurden abgelenkt. Ich höre das Schnauben von Pferden und laufe dem schönen Geräusch nach. Zwei Reiterinnen machen gerade Rast und ich ein Foto.
Bald schon erwartet uns Stationstafel 145 – mit Bank. Fidel nutzt die Gelegenheit, springt auf, um endlich auch einmal eine Tafel lesen zu können. Denn, wie bereits erwähnt, der Pudel hört nicht nur gut, er versteht auch alles und kann schreiben und lesen.
Deutschen-Beschimpfung
Es wäre ebenso schlimm für die Erde, wenn es lauter Deutsche, als wenn’s keine gäbe, und kein Volk ersetzt das andere.
Sie kamen, sahen und siegten – über alles, was sie erwartete auf den Tischen. Himmel! es waren aufgeklärte Achtzehnjahrhunderter – sie standen
ganz für Friedrich II., für die gemäßigte Freiheit und gute Erholung-Lektüre und einen gemäßigten Deismus – und eine gemäßigte Philosophie – sie erklärten sich sehr gegen Geistererscheinungen,
Schwärmerei und Extreme – sie lasen ihren Dichter sehr gern als ein Stilistikum zum Vorteil der Geschäfte und zur Abspannung vom Soliden – sie genossen die Nachtigallen, wie die Italiener andere,
als Braten und machten mit der Myrte, wie die spanischen Bäcker mit der andern, den Ofen heiß – sie hatten die große Sphinx, die uns das Rätsel des Lebens aufgibt, totgemacht und führten den
ausgestopften Balg bei sich und mußten es für ein Wunder halten, daß ein anderer eines annimmt. […] nur für ein Ding brennt ihr frostiger Geist, für den Leib; dieser ist solid und reell,
dieser ist eigentlich der Staat, die Religion, die Kunst, und diesem diene die Berliner Monatsschrift. ––
[…] – Ich bin ohnehin schon längst die seichte Menschheit durchgewatet […] ihr allgemein-deutsch-bibliothekarischen Menschen, ihr Kopiermaschinen der Kopien, die ihr niemals ahnet und nichts erratet als Ebenbilder, wie selig seid ihr; denn wenn
Madame des Houlieres in ihren Idyllen schon einen mouton (Hammel) glücklicher preiset als einen Menschen: wie muß es erst einer sein, der beides zusammen ist! –
Jean Paul »Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch«
Manchmal habe ich damals beim Wandern die Texte schlecht verstanden und konnte mit einem Wort wie »Giannozzo«, das nur allein unter dem Text der Schrifttafel steht, nichts anfangen. Da hätte ich mich gefreut, wenn hier und da eine kurze Erklärung dabeigestanden hätte.
Jetzt weiß ich natürlich, dass »Giannozzo« der Titel eines Werkes von Jean Paul ist und vollständig »Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch« lautet. Eine Satire, 1800 entstanden. Der Luftschiffer Giannozzo fährt hoch über der Welt und betrachtet die Menschen unten, wie sie Kriege führen und das Wissen in den Universitäten verraten. Er sieht lauter aufgeblasene Obrigkeiten, langweilige vornehme Gesellschaften, die sich nur von ihren Gewinnsüchten lenken lassen. Und Giannozzo würde am liebsten die Welt verbessern, aber es will einfach nicht.
Was diese Gesellschaftskritik mit einer »Deutschen-Beschimpfung«, wie die Stationstafel heißt, zu tun hat, erschließt sich mir nicht.
Nun denn, bald schon gesellt sich Stationstafel 146 »Europa (und die Bücher)« thematisch hinzu.
Europa (und die Bücher)
Europa ist ein durcheinander gewachsener Lianen-Wald, woran die andern Weltteile als Wucherpflanzen sich aufschlängeln und ausgesogen sich ansaugen. Die Bücher stiften eine Universalrepublik, einen Völkerverein oder eine Gesellschaft Jesu im schönern Sinne oder humane society, wodurch ein zweites oder doppeltes Europa entsteht, das, wie London, in mehren Grafschaften und Gerichtsbarkeiten liegt. Wie nun auf der einen Seite der überall umherfliegende Bücherblumenstaub den Nachteil bringt, daß kein Volk einem unverfälschten, mit keinen fremden Farben besprengten Blumenflor mehr ziehen kann; – wie jetzo kein Staat sich aus sich so rein, langsam, stufenweise wie sonst mehr ausformen kann, sondern wie ihm, gleich einem indischen, aus Tierleibern zusammengereiheten Götterbilde, die verschiedenen Glieder der Nachbarstaaten in seine Bildung hinein verwachsen: so ist auf der andern Seite durch das ökumenische Konzilium der Bücherwelt kein Geist mehr der Provinzialversammlung seines Volks knechtisch angekettet – und ihn führet eine unsichtbare Kirche aus der sichtbaren heraus. – Und darum nun wird jetzo mit einiger Hoffnung gegen die Zeit erzogen, weil man weiß, das gesprochne Wort des deutschen Lehrers klinge vom dem gedruckten wieder und der Weltbürger gehe unter der Aufsicht der Universalrepublik nicht im Bürger eines verderbenden Staats zugrunde, um so mehr, da, wenn Bücher verstorben, aber verklärte Menschen sind, ihr Lehrling sich immer zu ihren lebendigen Seitenverwandten halten wird.
Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«
Wie immer am Ende einer Etappe freuen wir uns über die Möglichkeit einer vielversprechenden Einkehr. Heute ist es die »Waldhütte«, und sie liegt, wie ihr Name schon verrät, mitten im Wald. Im Sommer kann man auch draußen sitzen, davon zeugen die vielen zusammengestellten Biertische, Tische und Stühle, die sich um die Hütte versammeln. Heute aber ist es schon ziemlich frisch und draußen niemand mehr.
Unter dem Waldhütte-Link oben findet man heute die neue »Waldhütte« mit den neuen Pächtern. Bei unserer Wanderung 2012 durften wir noch Wirtin Anni erleben. Sie ist nun Zeitgeschichte.
Es scheint ein wenig menschenleer, sodass wir befürchten, die Gaststube habe gar nicht geöffnet. Aber welch ein Glück, die Tür ist nicht verschlossen, und uns strömt eine Welle wunderbar warmer Luft entgegen. Es wird gut geheizt heute. In der Stube bullern sogar zwei Öfen gemeinsam um die Wette. Ein paar Leute sind da. Wir nehmen auf einer Eckbank Platz. Für Fidel habe ich immer eine alte, kleine Decke dabei, die lege ich unter die Bank. So weiß er: Ah, es gibt eine Decke! Das bedeutet, dass es hier länger dauert, und er nun getrost eine Weile schlafen kann. Schnell verschwindet er unter der Bank und schlummert nach dieser Wanderung zufrieden im warmen Dunkel tief und fest. Ich fürchte, die »Wirtshaus-Fidel-Decke-Geschichte« erzähle ich bei jeder Einkehr. Ich bitte inniglich um Gnade.
Mein erstes Bier wird schnell gereicht. Unser Blick schweift umher. Die Stube sieht aus, als ob seit Zeiten niemand etwas verändert hätte. Ich will ein paar Fotos machen, aber mein Fotoapparat ist kaputt. Habe ihn im Wald fallen lassen. Der Wievielte ist das eigentlich jetzt?
Das Feuer knistert, in der Küche wird geklappert, die Gäste plaudern. An diesem Herbsttag ist mir das so heimelig. Die Wirtin, die uns das Bier gebracht hat, ist schon betagt, sie setzt sich selbst an einen Gasttisch und liest die Bildzeitung. Zu einem Gast, der gerade hereinkommt, bemerkt sie kurz:
»Der Fußball war scho blamabel.« Dann zu einem, der gerade geht: »Komm gut heim und fahr net wieder an Platten, Eberhard.«
Eberhard: »Ade, Anni.«
Anni: »Wart, da hob i noch was …«, sie steht auf, geht in die Küche und kommt mit einer Tupperdose wieder heraus, »… da, nimsd die mit. San ausm Wald. Die Pfiffer san scho fertig, die Staapilz machst nur mit Pfeffer un Salz.«
»Des kanni, Anni.«
»No, was willst du no im Wald num dappen, da bricht ma sich doch die Baa.«
Sagt gerade die Anni, in ihrem Alter! Denke ich mir.
»In Italien, Anni, da isst man die roh! Nur mit Parmesan und Salat.« Er bedankt sich noch und weg ist er.
Anni liest weiter Bildzeitung. Dann zu anderen Gästen, die weiter hinten sitzen:
»Die Lilli is die Treppn runtergfallen. An ganzen Doch hat die glegn bis die Putzfra se gfunna hat. A ganz dörrs Waibla ist die. Un am Deinzer is es a schlecht ganga, oder haast der Daunzer? Na, der Daunzer war der in Kulmbach und der Doktor Deinzer, war der in Barait (Bayreuth). Jedenfalls der Deinzer muss opriert werden. Hat der geschimpft, der wollt net. Aber auch ein Doktor muss sich operieren lassen!«
Ich glühe mittlerweile, so warm ist es hier.
Dann wieder Anni: »Und Ilona, sind deine Mädels noch gut hamkumma?«
Ilona kichert: »Ja ging. Ganz gut. Eine mussten wir führen …«, dann leise zu ihrem Mann: »… wir hatten ganz schön viele Schnäpse.«
Hier in der »Waldhütte« erschien uns das Glück in Gestalt der Wirtin Anni. Und dies ist nicht ihre alte, vergessene Hütte im Wald mit verbrauchtem Mobiliar, sondern ein Reich mit vielen Kartenspielen im Regal, die sich immer aufs Gespielt-Werden freuen dürfen. Die »Waldhütte« gibt es heute so nicht mehr, die Besitzer haben gewechselt. Aber was ist aus Anni geworden?
Heike Hampl schreibt im Nordbayerischen Kurier 2013:
… ECKERSDORF, 19.09.2013 Anni Baumann (78), Wirtin der Waldhütte, muss ihr Lokal schließen. Am Donnerstag wurde sie offiziell verabschiedet. Am 29. September wird »die Anni« ihr letztes Bier ausschenken. Jeden Tag kämpft Anni Baumann mit den Tränen – 35 Jahre lang war die Waldhütte ihr Leben.
Blumen, Schokolade, ein Fresskorb. Und dann das. Ein Foto der Waldhütte auf Leinwand. Anni Baumann schluckt. So langsam, als müsse sie erst überlegen, wie Schlucken funktioniert. »Macht’s mir halt nicht so schwer«, sagt die Wirtin der Waldhütte und schließt die Augen.
Am Donnerstagnachmittag kamen Fritz Maier von den Bayerischen Staatsforsten, Klaus Harreis und Thorsten Müller von der Kulmbacher Brauerei und Thomas Dressel, Anni Baumanns Vermieter, und verabschiedeten die Wirtin. Für alle war es ein schwerer Gang. Sie kennen sich seit Jahren. Aber mit der Waldhütte kann es nicht weitergehen, sie muss saniert werden. Das Dach ist marode, die Toiletten müssen ausgetauscht werden.
Und Anni Baumann ist 78 Jahre alt. Seit ihr Mann vor neun Jahren starb lebt sie alleine draußen in der Waldhütte. Eigentlich weiß sie, dass es nicht mehr so weitergeht. Das Holz machen, die schwere Arbeit. Trotzdem ist der Abschied schwer. »Die Arbeit geht mit mir zu Bett und steht mit mir wieder auf«, sagt sie.
Seit der Kurier über Annis Abschied berichtet hat, kommen jeden Tag mehr Gäste. Alles Menschen, die die Anni und die Waldhütte kennen – viele, seit sie Kinder sind. »Manch einer wurde bei mir getauft, hat hier Konfirmation gefeiert, geheiratet und feiert jetzt die Taufe seiner eigenen Kinder hier.«
Ihre Stammgäste sind immer noch fassungslos. »Es geht uns gar nicht gut«, sagt Walter Schreiner* (69). Er kennt Anni Baumann seit 60 Jahren, hat 30 Jahre lang als Metzger die Waldhütte beliefert und kommt genauso lang jeden Donnerstag zum Kartenspielen. Wo er und seine Stammtischbrüder nun hinsollen, wissen sie nicht. »Wie bei der Anni ist es nirgends.«
Am 29. September veranstaltet das Amt für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten zusammen mit den Bayerischen Staatsforsten den Waldtag bei der Waldhütte. Es wird der letzte Tag sein, an dem Anni Baumann das Wirtshaus aufsperrt.
Für Anni Baumann geht ein ganzer Lebensabschnitt zu Ende. Ihr schönster, wie sie sagt. »Ich bereue keine Sekunde, obwohl es oft eine harte Arbeit war.« Anni erinnert sich, wie im Winter regelmäßig Rohre eingefroren sind, »immer am Sonntag oder am Feiertag«, oder wie die Waldhüttenstraße oft so vereist war, dass der Bierlaster nicht zu ihr durchkam. »Gestandene Männer haben mir schon gesagt, dass sie hier draußen keine Nacht alleine sein möchten«, sagt Anni und lacht. Angst hatte sie in der Waldhütte nie.
Die Männer, die am Donnerstag kamen, um Servus zu Anni zu sagen, haben Reden für sie vorbereitet. Anni kann aber nicht immer zuhören, obwohl nur für sie gesprochen wird. »Ich muss drüben weitermachen, die warten doch auf ihr Bier.«
Viele können sich die Waldhütte ohne Anni Baumann nicht vorstellen. Und auch ihr fiel das lange schwer. »Aber alles im Leben endet. Auch das Schöne.« …
* Walter Schreiner ist aus Hollfeld und war dort unser Nachbar. Von seiner langen und tiefen »Waldhütten-Liebe« wussten wir nichts.
Mehr über die Waldhütte heute: Waldhuette.de
Nach dem Verzehr einer kleinen Brotzeit trollen wir uns, leicht schläfrig geworden, hinaus und fort ins Wäldchen. Es dämmert schon. Irgendwie hatten wir uns so wohlig aufgewärmt, dass wir draußen die Groß- und Sonderstation 147 »Jean Paul und die Waldhütte« völlig übersehen. Aber hier sei sie zumindest von mir niedergeschrieben.
Jean Paul und die Waldhütte
Markgräfliche Jagdlust
Die Waldhütte wurde um 1750 als Markgräfliche Försterei gegründet. Da die Markgrafen die Jagd liebten, ist anzunehmen, dass auch Markgraf Friedrich und Markgräfin Wilhelmine hier eingekehrt sind.
Im nahen Neustädtlein am Forst bestand schon ein kleines Schloss. Bereits 1398 ist dort ein herrschaftlicher Ansitz bezeugt, der den Herren von Lüchau gehörte, die auch in Donndorf – bei der späteren Fantaisie – Güter besaßen.
Markgraf Georg Wilhelm ließ 1726 in Neustädtlein über den mittelalterlichen Grundmauern des Ansitzes ein sehr hübsches Jagdschlösschen errichten, an dem der Jean-Paul-Weg nach Sanspareil vorbeiführt.
Seit dem 19. Jahrhundert galt die Waldhütte als romantisches Ausflugsziel. So kam auch Richard Wagner seit 1877 oft und gern mit seiner Familie an diesen idyllischen Ort, wo er meist bei bester Laune war.
Ob Jean Paul jemals hier war, ist nicht historisch bezeugt, aber es ist leicht vorstellbar, dass er auch diesen schönen Ort geschätzt hätte.
Die Liebe im Walde
Nämlich im Fangwalde seines Vaters stand ein einsames Jägerhaus, worin nichts wohnte als der verwittibte Jäger mit seiner einzigen Tochter, welche man jetzt schon in ihren unreifen Jahren die Wildmeisterin nannte, weil sie dem Jagdmann Hausfrau, Haushofmeister, Ratskollegium und alles war, was er brauchte, um ruhig zu schießen und zu schnarchen.
Die Wildmeisterin – Drotta – hatte Helfen schon in der Kindheit, wenn sein Vater im Walde Finken durch Aneinanderleimen fing, auf schönere Weise an ihre Psyches-Flügel geleimt, weil er immer zu ihr hineinsprang. Sie hatte aber den Fehler, den sie lange fortsetzte, daß sie ihren jungen Siegwart häufig ausprügelte, eine Sache, für welche er aus Geschmack so wenig war, daß er am Ende nur auf den Waldberg ging, von welchem aus er geradezu die Fenster des Jägerhauses und auf den Spielplatz sehen und alles finden konnte, was einem Herzchen Flügel und Flammen gibt.
Jean Paul »Leben Fibels«
Die Waldhütte als »letzter Ort«
Wenn du in der Schlacht, wo Tausende mit dir wirken und stürmen, mitten in der blitzenden donnernden Menschenwelt stehst und mitglühst: so siehst du keine Einsamkeit, sondern eine ganze Menschheit um dich; – und doch ist eigentlich niemand bei dir als du. Eine einzige Bleikugel, welche als ein finsterer Erdball in deine Himmel – oder Gehirnkugel dringt, wirft das ganze Schall- und Feuerreich der Gegenwart um dich fern hinunter in die Tiefe, du liegst als Einsiedler im Getümmel, und hinter den zugeschloßnen Sinnen schweigt die Welt; dieselbe Einsamkeit umschließt dich, ob dir in der entlegnen Waldhütte oder auf dem Pracht- und Trommelmarkte des Todes die Sinnen brechen. […] Wenn aber auf diese Weise, was aus der Ferne als Menschenbund gesehen, in der Nähe nur eine Menschentrennung wird und ein Einsiedlerheer, ein unauflöslicher Nebelfleck zusammenfließender Sonnen ist, welche in der Wahrheit sich voneinander durch Weltenräume scheiden; – und wenn dieses, was für die Prunkstätten des Lebens gilt, ebenso für jede andere Stätte gilt: ist denn nichts vorhanden, damit der Einzelne nicht einzeln bleibe, sondern sich zu einem Ganzen und Großen vereine? Ja, ein Wesen lebt von Ewigkeit, das alle Wesen zugleich bewohnt und beherbergt
und so alle einander selber zunähert. Wir sind Sennenhirten, jeder auf seiner Alpenspitze fern vom andern, aber der Gesang geht zu den Hirten über die Abgründe hinüber und herüber und wohnt und spricht von Berg zu Berg in denselben Herzen auf einmal. So sind wir alle nicht allein, sondern immer bei dem, der wieder bei allen ist und in welchem alles von innen und außen zusammenfließt; und dies ist Gott, durch den allein das Größe und Liebe wird, was in der Welt Größe und Liebe scheint. – Und so bleibt denn auch nicht einmal unsere letzte dunkelste verschlossenste Minute einsam.
Jean Paul »Der Komet« (1820)
Der Traum im Walde
Mir träumte, ich stehe in der zweiten Welt: um mich war eine dunkelgrüne Aue, die in der Ferne in hellere Blumen überging und in hochrote Wälder und in durchsichtige Berge voll Goldadern – hinter den krystallenen Gebirgen loderte Morgenrot, von perlenden Regenbogen umhangen – auf den glimmenden Waldungen lagen statt der Tautropfen niedergefallene Sonnen, und um die Blumen hingen, wie fliegender Sommer, Nebelsterne.... Zuweilen schwankten die Auen, aber nicht von Zephiryn (Windgottheiten), sondern von Seelen, die sie mit unsichtbaren Flügeln bestreiften. –– Ich war in der zweiten Welt unsichtbar; unsere Hülle ist dort nur ein kleiner Leichenschleier, nur eine nicht ganz gefallene Nebelflocke.
Jean Paul »Siebenkäs/Der Traum im Traum«
»Der Traum im Traum«. Einer der schönsten Texte von Jean Paul! Hier beschreibt er die »zweite Welt«. Die Welt, nach der wir uns alle sehnen – ganz tief innen drin. Jeder Mensch, ob gut oder böse. Sie gibt es also – in der Vorstellung. Was aber hindert den Menschen daran, ausgerechnet diese Vorstellung nicht wahr werden zu lassen? Wo wir doch nahezu alle Vorstellungen realisieren können.
Den folgenden Tafeltext der Groß- und Sonderstation 147 zitiere ich, weil er eben auch auf der Tafel steht. Was aber das Jagdmuseum auf Burg Zwernitz mit Jean Paul zu tun hat, eröffnet sich mir nicht wirklich. Nun denn, alles, was mit dem Thema »Jagd« tun hat, mag ich gar nicht, wie man schon reichlich erfahren hat, und ich werde mich der Huldigertruppe auch nicht im Entferntesten anschließen. Ich bezweifle auch, das Jean Paul sich unter Jägern mit ihrem Jägergetue wohlgefühlt hätte.
Das Jagdmuseum zu Zwernitz
»Die Jagd der Hohenzollern in Franken« ist der eigentliche Titel dieses in Burg Zwernitz bei Sanspareil von der Bayerischen Schlösserverwaltung neu eröffneten Museums. Die höfische Jagd wird anhand teilweise sehr wertvoller historischer Exponate an einem originalen Schauplatz, dem markgräflichen Jagdrevier Sanspareil, thematisiert und macht eine uns heute fremd gewordenen Epoche wieder anschaulich und lebendig.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die 22 Jagdgemälde, die die Oberfrankenstiftung als Dauerleihgaben zur Verfügung stellt. Daneben werden in Vitrinen u. a. Gewehre, Jagdbekleidung, Urkunden, Waffen, Geweihe, Gläser und andere Jagdutensilien gezeigt.
Und wenn ich die beiden vorhergehenden Texte von Jean Paul auf der Stationstafel 147 lese, »Waldhütte als letzter Ort« und »Der Traum im Walde«, so steht der »Wald« oder eine »Waldhütte« als ein Sinnbild für Traum, für eine zweite Welt, für Einsamkeit, für Schutz, für Größe und Liebe. Ich glaube, dem Thema »Jagd« nähert sich jemand wie Jean Paul nur als Satiriker.
Aber egal, wir entfernen uns nun von der »Waldhütte«, wandern auf einem breiten Forstweg in Richtung Neustädtlein. Wir sind schon fast zwei Kilometer unterwegs, da sage ich zu Peter: »Riech mal! Das duftet ja immer noch nach Holzofenrauch. Bis hierher strömt Annis Öfchen hin!«
Nein, diese »Waldhütte« steht nicht für Einsamkeit. Sie steht für Zuhause.
Langsam »wächst« der breite Weg zu, wird immer schmaler und arkadischer. Im Laufe der Zeit hat die Natur sich ihr Land zurückerobert. Kleine Tannen säumen den Weg oder stehen mitten auf ihm, hingestellt wie Weihnachtsbäumchen. Der Weg ist mit Gras bewachsen, Moos und Pilze überall, jetzt wandeln wir nur noch einspurig. Zum Schluss ist der Pfad gar ganz verwildert. Aber Stationstafel 148 zeigt uns immer noch den Weg zur Zivilisation.
Jean Pauls Spitz* schreibt an den Jagdfürsten**
Ich* kann Attentate von meinem Prinzipal beibringen, daß ich so wenig von der Jagd verstehe als er und daß ich stets hinter seinem Stock der nächste bin; und die einzige niedere Jagd und freie Pirsch, die ich mir erlaube, weil mich der Reichsanzeiger dazu ermuntert, ist zu Zeiten eine Feldmaus. Da ich nun mein Brod bei meinem Brodherrn verlieren würde, wenn er mich nicht außerhalb des Tors brauchen dürfte, wohin gerade seine Geschäfte mit mir fallen – da ich sein einziger Viehstand bin und seine Poularderie und Fasanerie und sein Wappentier; und da sie ihn gewiß halb so lieben als er Sie; und da Sie oft, wenn Sie bei ihm waren, die Gnade gehabt, mich armen Hund zu streicheln und zu sagen: Komm Spitz – so verseh ich mich zu meinem Glückstern und Hundstern, daß mir verstattet werde, früher als ich zu Schuhen zugeschnitten bin und auf andern Füßen als auf fremden, vor das Tor zu kommen.
Meiningen, 19. September 1802
* Spitz [zur Zeit Hund bei Herrn Jean Paul]
** an den Herzog Georg I. von Meiningen
Ich ahnte es, nicht nur Pudel, sondern auch Spitze können lesen und schreiben.
Wir klettern durchs Gestrüpp ins Dorf Neustädtlein, fast wie durch ein Tor, unter dem wir nun in die untergehende, güldene Herbstsonne treten. Vor uns liegt das alte Schlösschen, daneben ein kleines Holzhaus, eine Frau fegt gerade Laub. Vor dem Gasthaus »Zur Linde« (Webseite habe ich nicht gefunden) steht wirklich eine riesengroße, steinalte Linde, und neben ihr sitzen noch ein paar Gäste in den letzten warmen Strahlen und genießen den späten Samstagnachmittag mit der Vorfreude auf Sonntag.
Und weil wir in der Nähe von Limmersdorf sind, lässt sich dieser wunderbare Tag noch einmal krönen, und zwar mit einem Besuch in der »Pöhlmannschen Gastwirtschaft zur realen Schankgerechtigkeit«. Limmersdorf, das Dorf, wo es noch eine echte Tanzlinde mit Tanzlindenfest gibt.
Nun, die »Pöhlmannsche Gastwirtschaft« ist eine Wirtschaft, wie sie heute wohl kaum mehr zu finden ist. Nicht nur, dass sie, wie die »Waldhütte«, auch in ihrem Urzustand verblieben ist, hier darf man sogar rauchen! Es ist das einzige Gasthaus, in dem mich das überhaupt nicht stört. Auf dem TV-Bildschirm im geöffneten Wandschrank läuft die Sportschau – Bundesliga. Vor Ausstrahlung des Spielberichtes darf kein Gast die Ergebnisse verraten. Das ist Gesetz.
Direkt neben dem Wirtshaus lebt ein kleiner Biergarten unter alten Linden, die mit ihren Ästen ein Mützchen über die Bierbänke und -tische gehäkelt haben. Jahrzehnte braucht es für so ein »Laubendach«. Im Sommer lässt es sich hier herrlich in Seligkeit versinken.
Fidel schläft wieder tief und fest unter der Bank auf seiner »Wirtshaus-Fidel-Decke«. Dass seine Beine bis unter den Bauch vermatscht sind, interessiert ihn nicht. Uns auch nicht. Es gibt Bernsteinbier von der Kulmbacher Kommunbräu und – wir haben Glück, Veit Pöhlmann, der Wirt, der wegen seiner Statur immer für Peters Bruder gehalten wird, verkündet, dass er heute selbstgemachte Bratkartoffeln hat. Dazu gibt es allerbeste Sülze. Das Bier kostet noch immer 1,50 Euro und die Brotzeiten 3,00 Euro.
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