Harmonie – Hotel zur Sonne – Kurier-Haus – Am Sendelbach – Altstadt
Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern
Weitere Informationen über Jean Paul und Bayreuth: Literaturportal Bayern – Dichterwege. Auf den Spuren von Jean Paul
Siehe auch: Historische Innenstadt von Bayreuth
Jean Paul besuchte regelmäßig die »Harmonie«
Ein wichtiger Ort für Bayreuth war und ist immer noch die »Harmonie«. Das ist der Gesellschaftsverein von Bayreuth. Er wurde schon Ende des 18. Jahrhunderts gegründet. So ein bisschen nach dem Modell britischer Clubs. Hierfür nehme man ein stattliches Haus, zentral gelegen, biete gute Bewirtung und einen Kreis erlauchter und betuchter Mitglieder, zu dem nicht jedermann Zugang hat.
Das Harmonie-Haus liegt mitten in der Stadt am Schlossberglein, schräg gegenüber des Markgräflichen Opernhauses. Und vor – oder hinter, je nach dem, wie es man sehen will – der Schlosskirche mit dem großen achteckigen Schlossturm und dem Alten Schloss (heute Finanzamt). Man liest es schon, das imposante frühklassizistische Gebäude befindet sich in der Tat mitten in der Stadt und ziemlich fußläufig zu Jean Pauls Wohnung.
Die Stationstafel der Groß- und Sonderstation 126 »Jean Paul und die Harmonie« steht im kleinen Park vor dem Gebäude.
Jean Paul und die Harmonie
Kleine Hausgeschichte
1753 brannte das Alte Schloss nieder. Wo sich einst der Ost- und Nordflügel befanden, entstand 1759 u. a. das Palais d’Adhémar. Es wurde vom jungen Architekten Carl Philipp Christian von Gontard direkt neben seinem Wohnhaus errichtet. Dieser (geb. 1731 in Mannheim) war Sohn eines Bayreuther Ballettmeisters.
1747 folgte er seinem Vater auf diesem Posten, doch seine Erfüllung fand er in der Architektur, denn 1756 wurde er Hofbaumeister von Markgraf Friedrich und Markgräfin Wilhelmine, um 1764 nach Berlin und Potsdam im Dienst des preußischen Königs Friedrich II. weiter zu arbeiten. Durch seine Architektur hat er das frühklassizistische Stadtbild Bayreuths stark geprägt.
Der Kammerherr Marquis Antoine Honneste d’Adhémar war der Grand-Maître des Bayreuther Hofs gewesen, der einst auf Vermittlung Voltaires nach Bayreuth gekommen war. Er war ein geistreicher Mann, der mit dem Aufklärer d'Alembert korrespondierte, mit Diderot bekannt war und die Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth durch seinen Esprit erfreute.
Nachdem sich 1805 die Gesellschaft Harmonie hier niedergelassen hatte, wechselten nach dem Zweiten Weltkrieg die Nutzungen: Tanz- und Schlosscafé Metropol, später Kinderheim. Heute wird das Gebäude als katholischer Kindergarten genutzt.
Die Harmonie
1804 trat Jean Paul dem heute noch bestehenden, damals aber noch jungen bürgerlichen Gesellschaftsverein Harmonie bei, der für lange Zeit der Vergnügungsort der Bayreuther »guten Gesellschaft« war. Jean Paul besuchte das Vereinslokal, das sich seit 1805 im Palais d'Adhémar befand, fast täglich, nachdem ihn sein Freund Christian Otto – mit dem er seit seiner frühen Jugend befreundet war – hier eingeführt hatte. Er blieb dem Verein bis zu seinem Tode treu.
Er kam meistens abends, um die internationalen politischen und ästhetischen Zeitungen zu studieren: etwa den Moniteur und das Journal de Paris. Unter den literarischen Zeitschriften befanden sich auch jene, für die der Dichter kleine Texte geliefert hatte. Darunter ragte das 1816 ins Leben gerufene Morgenblatt für gebildete Stände heraus, das sein in Stuttgart und Tübingen wirkender Verleger Johann Friedrich Cotta publizierte.
In der Harmonie konnte man ab dem späten Nachmittag Billard, Kegel und Schach spielen, lesen, Kartentische standen bereit, man konnte Liebhabertheateraufführungen und kleine Konzerte, auch sommerliche Gartenkonzerte und Bälle besuchen. Es tagten wöchentliche Damengesellschaften und poetische Lesezirkel.
So war die Harmonie eine Mischung aus einer höheren Bierhalle und einem kultivierten Salon, in dem Jean Paul zeitweise die geistigen Impulse erhielt, die ihm Bayreuth sonst kaum bot. Übrigens mussten die Honoratioren nach Gespräch und Spiel beim Heimweg ihre Laterne tragen, denn Stadtbeleuchtung, nennenswerte Gehstege oder Straßenpflaster gab es noch nicht.
Jean Paul als Wetterprophet
In der Harmonie pflegte Jean Paul sich als Wetterprophet zu betätigen, indem er Wetterfrösche im Glas hielt, Fliegen züchtete und seine Prognosen quartalsmäßig an das Schwarze Brett im Clubhaus der Gesellschaft hing. In diesem Fach hatte der dilettierende Wetterexperte einen Konkurrenten: den Professor der Mathematik und Physik Johann Salomo Christoph Schweigger vom hiesigen Gymnasium.
Jean Paul: »Ich habe gestern in der Harmonie das schwache Wetterprodukt meines Nebenbuhlers gelesen. Ich wollte, man könnt’ ihm das meinige in die Hände spielen, damit er drei Monate hinter einander geärgert und beschämt würde, wiewohl er fein und einfältig genug ist, immer wieder Wörter wie ›vermischt‹, ›meistens‹ zu gebrauchen. So kann ich’s auch, wie jeder weiß.«
Am 20. April 1807 schrieb er an seinen Kardinalfreund Emanuel Osmund:
»Was mich etwas froh macht – da mich mein gestriger Harmonie-Abend bis 12 1⁄2 Uhr für heute ziemlich aufgelöst hat – dies ist, daß es schneiet und mein prophetischer Nebenbuhler grün und gelb wird darüber, daß es jetzt weiß wird statt grün.«
Osmund schrieb kurz darauf, am 9. Mai, in einem Brief an Jean Pauls Frau Karoline in schönster Ironie:
»Das ›schöne und warme‹ Wetter unsers Richters vom 9ten an läßt mich nicht viel aus dem Zimmer.«
Jean Paul weiß natürlich um diese Widersprüche in seiner Trefferquote (1819):
»Und endlich weissag’ ich noch bis in diesen Tag hier in Baireuth in der sich Harmonie betitelnden Gesellschaft vielen Mitgliedern wöchentlich, genieße aber auch dafür den Lohn, sogar von denen um Rath gebeten zu werden, die ich mehrmal in das windigste, gräulichste Wetter hinausgeschickt; vielleicht der beste Beweis, wie sehr ich treffe, wenn man mich nach dem Fehltreffen wieder fragt.«
Und Rudolf Wagner erzählt noch 1863 in seinen »Jugenderinnerungen an Jean Paul Friedrich Richter«:
»Um diese [seine Laubfrösche] im Winter mit Futter zu versorgen, bewahrte er, solange es möglich war, große Brummfliegen auf, die er merkwürdigerweise in einen Kanarienvogelbauer einschloß, das er ganz mit dünnem Flor umgeben hatte, worin er die Fliegen reichlich fütterte, die sich sehr träge und unbeweglich darinnen bewegten und umherkrochen.«
Hier die ganze Geschichte von Rudolf Wagner über Jean Pauls Fliegenzucht.
Jean Paul beauftragte seine Gattin, wenn er auf Reisen ging, z. B.:
»Meine liebe [Tochter] Emma soll das Weibchen aufstöbern und nachsehen nach der Eierzahl und nach Empfange dieses Briefes den Fröschen 2 Fliegen geben.«
Auch auf der Webseite der Gesellschaft Harmonie e. V. erfährt man Vergnügliches über sein prominentes Vereinsmitglied.
Philipp Hausser schreibt über ein kleines Szenarium in der Harmonie: … Damit das Bild von den Zusammenkünften erster Kleinstadt-Kreise aber nicht allzu idyllisch gerate, sei erwähnt, was ein durchreisender preußischer Diplomat, der Freiherr Ludwig von Ompteda, der Jean Paul zu Hause nicht stören wollte und sich, um ihm zu begegnen, in die »Harmonie« einführen ließ, einige Jahre später über das Gesellschaftslokal berichtete:
»In einem finsteren Raume konnte man sich kaum erkennen, da nur hin und wieder auf den Tischen ein Talglicht stand, dessen Schein den dicken Tabacksdampf nicht zu durchdringen vermochte. Große Biergläser waren der einzige Schmuck dieser Tische, und überall zeigten sich die Spuren des übergeströmten Getränks. Der berühmte Mann schien sich jedoch an diesem Orte, den er fleißig besuchte, recht behaglich zu finden …« […]
Über neue Mitglieder der »Harmonie« wurde durch Ballotage (geheime Abstimmung durch die Abgabe verschiedenfarbiger Kugeln) entschieden. Nur 1810, nachdem Bayreuth bayerisch geworden war, machte man bei den bayerischen Offizieren eine Ausnahme und nahm sie korporativ (geschlossen) auf. Jetzt, 1805, waren fast alle Offiziere des preußischen Regiments von Unruh in der »Harmonie« zu finden (wo sonst auch sollten sie sich in dem stillen Bayreuth vergnügen?), …
Jean Paul ging nicht nur in die Harmonie, um Zeitungen zu lesen, sondern auch um zu diskutieren, gerne über Politik. Napoleon lieferte ein Dauerthema. Das sollte wenigstens seinen Geist frisch halten, denn zusehends fühlt sich der Dichter von den Honoratioren der Stadt und ihren ewig gleichen, festgefahrenen Meinungen gelangweilt.
… Was Richter an kleiner geistiger Münze in der »Harmonie« erhält, die er schon wegen des Lesekabinetts besuchen muß, langt ihm vollauf. Eines allerdings gehört dazu, die Diskussion über das Zeitgeschehen: denn es gäbe nichts Langweiligeres als einen »Baireuth-Klub ohne Politik«. Trifft er die Honoratioren hingegen auch anderswo, dann lautet ein Bericht an Otto etwa: »Gestern stand ich endlich bei der Rollwenzel alles aus, was erbärmlichste Honoratioren von Langeweile geben können – ein Weiß, Wolter, Zehelein, Ehrlicher, Deahna, Heinel der Ältere, Lützenberger und noch einer. – Ich hatte auf Dich gehofft; jetzo ists mir Deinetwegen lieb.«
So herbe Kritik wird gemildert, wenn man in den »Bemerkungen über den Menschen« liest: »Man macht nie größere Anforderungen an die Gesellschaft als wenn man sie nicht sehr nöthig hat. In Hof war ich mit den unbedeutenden Einwohnern zufrieden; – aber hier nicht mit den bedeutenden. Allein dort wollt’ ich werden, heirathen, und Lob erwerben und Gesellschaften haben; hier aber will ich bloß Geist.« …
Und etwas später: … Zu solchem Ärger kommt die Trauer über Bayreuths geistige Verarmung. In einem Brief an Staatsrat Langermann in Berlin wird das so ausgedrückt: »Übrigens wird Baireut halbjährlich um einen guten Kopf kürzer gemacht. Bei Ihnen fing dieses geistige Köpfen an. Jetzo fänden sie beinahe eine Harmonie aus Rümpfen. …« …
Philipp Hausser »Jean Paul und Bayreuth«
Das wichtige Hotel »Zur Sonne«, das es heute nicht mehr gibt
Ganz in der Nähe des Schlossbergleins mit dem Harmonie-Haus liegt die Richard-Wagner-Straße. Bei Hausnummer 4 bis 6, wo sich heute eine dm-Filiale und »Schuh-Krause« befinden, stand früher das Hotel »Zur Sonne«. Viele prominente Reisende stiegen hier ab. Neben der Weimarer Herzogin Anna Amalia, Goethe, Nietzsche und Richard Wagner beherbergte der Gasthof auch viele Jean-Paul-Verehrer.
Hier findet man Sonderstation 125 »Jean Paul und die Sonne«.
Das Hotel »Zur Sonne«
An dieser Stelle stand bis Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts ein Haus, das seit seiner Gründung im 18. Jahrhundert auch mit der (?, hier fehlt ein Wort) verbunden war. 1741 wurde zunächst durch Markgraf Friedrich von Brandenburg-Bayreuth die Schloss-Loge (Freimaurer) gegründet.
1753 vereinigten sich die Schloss-Loge und die Stadt-Loge zur neuen Loge (»Zur Sonne«), die nach dem Brand des Alten Schlosses gelegentlich hier ihren Versammlungsort hatte. (Mehr über die Loge »Zur Sonne« auf der Webseite des Bayreuther Freimaurer-Vereins »Eleusis zur Verschwiegenheit« oder bei Wikipedia.)
Im Roman »Die unsichtbare Loge« hat Jean Paul 1793 dem Freimaurerwesen ein Denkmal setzen wollen, aber die im Titel genannte Loge sollte niemals im unvollendet gebliebenen Roman erscheinen.
Im später hier ansässigen Hotel »Zur Sonne« übernachtete Jean Paul erstmals im Jahr 1796. In seinem Roman »Siebenkäs« (1796/97) hat er das Haus literarisch verewigt, da sich der Titelheld und sein Freund Leibgeber hier begegnen. Später erinnerte er sich wehmütig an die winterlichen Musikabende und Nachfeiern. Nachdem er 1804 nach Bayreuth gezogen war, aß er hier manchmal zu Mittag, wenn er dem familiären Trubel entfliehen wollte.
Der berühmteste Gast, Johann Wolfgang von Goethe, wohnte hier mit der Herzogin Anna Amalia und ihrem Hofstaat auf einer Reise von Venedig nach Weimar vom 15. auf den 16. Juni 1790. »Nach Mitternacht kamen wir sehr ermüdet in einem guten Gasthof, die Sonne, in Bayreuth an«, schrieb die Hofdame Luise von Göchhausen.
Das Hotel sollte viele Gäste sehen, die eigens wegen Jean Paul nach Bayreuth gekommen waren. 1817 war der Autor des »Bayerischen Wörterbuchs« Johann Andreas Schmeller hier und bei Jean Paul zu Gast, wie auch 1823 der Dichter August von Platen.
Kurz nach dem Tode Jean Pauls, 1826, besuchte Wilhelm Müller, der Dichter der von Franz Schubert vertonten Winterreise und der Schönen Müllerin, das Hotel und die Rollwenzelin. Der Komponist und Jean-Paul-Verehrer Robert Schumann besuchte 1828 die »Sonne« und andere jeanpaulische Erinnerungsstätten wie die Rollwenzelei und Fantaisie.
Am 17. April 1871 sollte Richard Wagner bei seinem ersten Bayreuth- und Opernhausbesuch mit seiner Frau Cosima Wagner in der »Sonne« absteigen, wie später auch Friedrich Nietzsche und viele andere Festspielbesucher. Allerdings ging es auch damals schon in Gasthöfen gelegentlich hoch her. Am 19. April 1871 notierte Cosima Wagner in ihr Tagebuch: »Richard wäre ganz gesund, wenn nicht ein unerhörter Lärm im Hôtel die ganze Nacht uns verwüstet hätte. Kavaliere gaben ein Fest und benahmen sich dabei wie die rohesten Kutscher.«
Herzogin Dorothea von Kurland lädt Jean Paul immer wieder zum literarischen Salon in ihr Schloss Löbichau im Altenburger Land ein. Sie wollte ihn unbedingt kennenlernen. Deshalb machte sie bei ihren Reisen nach Paris (ihre Tochter hatte den Neffen des franz. Außenministers Talleyrand geheiratet) des Öfteren einen kurzen Zwischenstopp in Bayreuth und Station in der »Sonne«, um sich dort mit Jean Paul zu treffen.
… Dorothea, letzte Herzogin von Kurland, und ihre Schwester Elisa von der Recke gaben nicht nach (Jean Paul einzuladen). Der kleine Musenhof, ein Gut in Sachsen, beherbergte jeden Sommer viel Gäste, neben der hochadeligen Gesellschaft Dichter, Musiker, Gelehrte, die oft für drei Tage kamen und vier Wochen in völliger Ungezwungenheit blieben. …
Philipp Hausser »Jean Paul und Bayreuth«
Das Kurier-Haus steht für Jean Paul als »Zeitungsschreiber«
In entgegengesetzter Richtung, stadteinwärts, gelangt man wieder in die Maxstraße und ganz unten bei der Spitalkirche steht das Kurier-Haus, in dem die Tageszeitung »Nordbayerischer Kurier« zu Hause ist.
An diesem Haus findet man die Sonderstation 127.
Jean Paul und die Zeitung
Jean Paul als Zeitungsschreiber ...
Für einen freien Autor, der Frau und Kinder zu versorgen hatte, war es fast unumgänglich, dass er nicht nur große, schwer verkaufbare Romane schrieb. Heute wie damals war und ist es üblich, dass ein Schriftsteller ebenso in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. Jean Paul publizierte diese Schriften auch aus pädagogischen Gründen. Er hat in seiner Bayreuther Zeit viele »Kleine Schriften« zum Druck befördert.
Die Baireuther Zeitung erscheint auch gelegentlich in Jean Pauls satirischen Schriften – so etwa, wenn er einen Rektor Seemaus erfindet, der sich auf eine »Weissagung des Erdendes« bezieht, die am 26. Juni 1816 in der »Baireuther Zeitung auf deren zweitem Blatte« vermeldet wurde. Das Zeitungswesen hat übrigens schon damals gut funktioniert.
Nachdem dem Dichter 1819 eine Baireuther Zeitung nach Stuttgart nachgesandt worden war, schrieb er erbost nach Bayreuth: »Der baireuter Zeitungsschreiber nimmt Antheil an mir, da er, sobald ers kaum erfährt, aus der Stuttgarter Zeitung, daß ich abgereiset und bei dieser bin, auch meinen Mitbürgern es hinterbringt, daß ich nicht zu Hause zu treffen sei.«
Jean Pauls Satiren wurden gerne in literarischen Zeitschriften veröffentlicht, unter denen eine seines in Stuttgart und Tübingen wirkenden Verlegers Johann Friedrich Cotta herausragt: das 1816 ins Leben gerufene »Morgenblatt für gebildete Stände«. Cotta gab auch das »Taschenbuch für Damen« heraus. Weitere Teile von populären Zeitschriften, in denen sich seinerzeit erstmals gedruckte Texte von Jean Paul fanden, lauten: »Taschenbuch für das Jahr 1808 oder Taschenbuch für Liebe und Freundschaft«
... und als begeisterter Zeitungsleser
Der Vater bekam von seiner Patronatherrin Plotho in Zedwitz die Baireuther Zeitung geschenkt; monatlich, oder vierteljährig – sooft er eben nach Zedwitz ging – brachte er einen Monat- oder Vierteljahrgang auf einmal nach Hause und ich und er lasen sie mit Nutzen, eben weil wir sie mehr band- als blattweise bekamen.
Eine politische Zeitung gewährt, nicht blatt- sondern heft- und bandweise gelesen, wahrhafte Berichte, weil sie erst im Spielraume eines ganzen Heftes Blätter genug zum Widerruf ihrer andern Blätter gewinnt, und sie kann gleich dem Winde ihre wahre Farbe nicht in einzelnen Stößen und Stücken zeigen, sondern nur in ihrem großen Umfang, wie eben gedachte Luft erst in Masse ihre himmelblaue Farbe. Gewöhnlich am Morgen trug ich meinen Neuigkeiten-Atlas in das Schloß zur alten Frau von Reitzenstein und weissagte ihr am Kaffeetischchen eines und das andere von dem, was ich ihr gebracht, und ließ mich loben.
Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«
Zu Jean Pauls Zeit fanden noch öffentliche Hinrichtungen statt
Von der Spitalkirche beim Mühltürlein in der historischen Innenstadt von Bayreuth geht es jetzt in Richtung Altstadt. Der weiter draußen am Stadtrand gelegene Stadtteil ist nicht zu verwechseln mit der historischen Innenstadt. Die Altstadt ist mit ihren 11 000 Einwohnern der größte Stadtteil Bayreuths. Der Weg führt über die breite Ringstraße, vorbei am Einkaufszentrum Rotmain-Center, bis man auf die Straße »Am Sendelbach« stößt, man diese hinuntergeht, bis man wieder endlich Bäume und Sträucher sieht.
Dort gibt es einen Spielplatz und hier findet man Groß- und Sonderstation 128 »Jean Paul und der Galgen«. Sie steht hier, weil sie aus einer Welt erzählt, in der es noch öffentliche Hinrichtungen gab.
Jean Paul und der Galgen
Bayreuth im Galgenzeitalter
Auch Bayreuth verfügte vom Mittelalter an über öffentliche Richtstätten. Auf dem Markt, direkt am ehemals auf dem Platz befindlichen Rathaus, später auch an der Stadtpfarrkirche, befand sich ein Pranger. Er war reserviert für Bäcker, die zu kleine Brötchen backten, für Kaufleute, die mit falschen Gewichten arbeiteten, für Diebe und Störer der öffentlichen Ordnung – also auch für Klatschbasen, die anderen Leuten Schlechtes nachsagten.
In der Nähe des Rathauses befand sich bis zum großen Stadtbrand 1621 auch ein Galgen, aber er diente nur der Abschreckung, nicht der Hinrichtung. Heute noch stellen die Eremitenhöfer Kegler gelegentlich in der Nähe des historischen Galgenplatzes einen »Kegelgalgen« (oder Russisches Kegeln. Es ist ein Kegelspiel, bei dem die Kugel an einem schwingenden Seil hängt) auf.
Die Blutgerichtsbarkeit ist in Bayreuth spätestens seit dem 15. Jahrhundert bezeugt, vermutlich aber schon im 13. Jahrhundert praktiziert worden. Hinrichtungen wurden an zwei Plätzen östlich der Altstadt durchgeführt. Der Galgen stand dicht vor den Mauern an der Preuschwitzer Straße am Roten Hügel. Am nicht weit davon entfernten Rabenstein befand sich der Richtplatz mit dem Hochgericht für Schwerverbrecher, flankiert von Rädern und aufgesteckten Köpfen. Hier wurde unter reger Anteilnahme der Bevölkerung gerichtet. Danach wurde die Erde meistbietend versteigert und die Steine brachte man in den Bauhof.
Ein weiterer Galgen, der speziell für Soldaten reserviert war, ist am Brandenburger Weiher in St. Georgen (Stadtteil in Bayreuth) bezeugt. Erst 1848 wurde das Hochgericht aufgelöst und alle Richtstätten wurden abgebrochen.
Eine anständige Stadt braucht ein Galgen-Jubiläum, meinen Jean Paul und sein zynischer Luftschiffer Giannozzo, der die Welt nur noch von oben sehen will. Vor allem, damit die Pharisäer der Stadt sich sittlich erhoben fühlen können! Seinerzeit waren Hinrichtungen öffentliche Schauspiele und er wusste um diese Mentalität. Rektor Fälbel wäre schon mit einem Exempel zufrieden gewesen:
«Auch wollt ich da noch außerdem einen allda gehenkten Posträuber in Augenschein nehmen, weil ich einige Moralen aus ihm für die Meinigen ziehen wollte. Aber wir taten uns vor Thiersheim vergeblich nach einem Galgen um; der Spitzbube saß noch – und hing noch an nichts als an Ketten.«
Jean Paul »Des Rektors Florian Fälbels und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg«
Seltsame Galgen-Moral
Eine Stadt und ein Galgen sind – nicht bloß topographisch – so nahe aneinander, daß alle Kriminalisten diesen nur für die fernste Pforte und Vorpost derselben ansehen; sein Pilaster-Dreizack ist die trinomische Wurzel der städtischen Sittlichkeit und bildet die drei Staatsinquisitoren, auf denen alles ruht.
Wer einen Galgen sieht, erfreuet sich, weil er weiß, daß eine Stadt sogleich nachkommt nach diesem dreibälkigen Telegraph oder sechseckigen Bierzeichen [in Form eines Davidsterns] derselben.
[…] die drei Pfeiler,zwischen denen ich rede, sind die Eckpfosten unserer Sinnlichkeit, die Karyatiden [Stützpfeiler in Gestalt von Frauen], welche das Staatsgebäude halten. […]
Und überhaupt – was soll ich erst lange einteilen – steigen meine drei Säulen mit ihren Fruchtgehängen durch alle Stockwerke des Staatsgebäudes! – Allgemein hat man conscientiam dubiam, Gewissens-Skepsin – Hunger und Sättigung herrschen in vermischter Regierungsform über die Welt – alle Stände haben wenig, wollen viel: – – und doch wird wenig gestohlen! Denn die Gedächtnissäulen stehen da und machen aus allgemeiner Not allgemeine Tugend; sie halten jeden von uns zu einem bloßen Nahrungszweige von dem im ganzen verbotenen Baume an, zum Borgen, zum Liquidieren, zum Handel und Wandel, zum kleinen Küstenhandel mit Ämtern, Kindern, Rechten – in dem wie der menschliche Körper aus lauter Gefäßen gebaueten Staatskörper arbeiten, wie in jedem geschwächten, die einsaugenden stärker als die ausdünstenden; alle Kassen stehen daher da, man hat die Stadtkassen, die Heilandskassen, die Regimentskassen, die Steuerkassen – die Beamten bitten Gott um Ehrlichkeit, wenn die Jahre kommen, wo sie zu leben haben – der breite Weg Rechtens bedeckt, wie in Ungarn die breiten Straßen, das fruchtbare Land – die Residenzraubvögel steigen höher, um zu stoßen – alles gedeiht, die Welt ist ehrlich und satt, und der Galgen ist der allgemeine Protektor.
Jean Paul »Des Luftschiffers Giannozzo Seebuch«
Der Sendelbach fließt hier in den Mistelbach und an ihm entlang geht es nun weiter über einen geteerten Rad- und Fußweg stadtauswärts in die Altstadt. Links liegt jetzt der Stadtfriedhof, aber den lassen wir heute »links« liegen und kommen im letzten Teil der Bayreuth-Etappe auf ihn zurück, denn hier liegt Jean Paul begraben.
Wir dürfen es nicht vergessen: Jean Pauls Wege zum Bier!
Jetzt gibt es wieder etwas über Jean Pauls Liebe zum Bier zu erzählen, denn man gelangt hier, in der Altstadt, nun zu den zwei ältesten Brauereien der Stadt Bayreuth: die »Brauerei Glenk« und der »Becher Bräu«. Beide mit Biergarten.
Hier finden wir auch Groß- und Sonderstation 130.
Jean Paul und das Bier
Bier in der Altstadt
Bayreuth war vermutlich vom Anfang seiner Geschichte an eine Bierstadt gewesen, doch wann der erste Brauer hier sein Handwerk ausübte, ist nicht bekannt. Urkundlich bezeugt sind die städtischen Braumeister Cuntz Mey und Cuntz Teufel im Jahre 1454. Im Bayreutherischen war die Bierbrauerei jedoch kein »zünftiges« Gewerbe.
Von alters her konnte jeder Vollbürger der Stadt das Recht erwerben, jährlich im städtischen Brauhaus Bier brauen zu lassen und dieses zu verkaufen und auszuschenken. Dieses Recht nahmen vor allem die Bäcker in Anspruch, denen es erlaubt war, Bier in ihrer Zechstube auszuschenken. Ein Verkauf »über die Gassen« wurde ihnen aber nicht gestattet, damit den Gastwirtschaften keine Einbuße entstehe. Manche heute noch bestehende Gastwirtschaft geht also auf eine Bäckerei zurück.
In dieser Tradition ist auch die Geschichte der Brauerei und Gaststätte Becher Bräu (Inhaber Familie Hacker) einzuordnen, die sich bis 1781 zurückverfolgen lässt. Damit ist sie die älteste noch bestehende Brauerei der Stadt Bayreuth.
1781 heiratete Johann Rauh jun. die Müllerstochter Anna Margaretha Schiller (der achtzehnjährige Jean Paul studierte damals im ersten Studienjahr in Leipzig).
Am Ende der Etappe 25 (»Große Kolonien des Glücks«) hatte ich bereits quasi direkt aus der Becher-Bräu heraus erzählt ...
Auf der anderen Seite des Platzes befindet sich die Brauerei Glenk, die 1859 von Andreas Glenk gegründet wurde. 1888 hatte sie den Namen »Export-Bierbrauerei Richard Glenk« erhalten. Richard Glenk war einer der ersten Privatbrauereibesitzer in Bayreuth, nachdem es bis dahin fast ausschließlich Kommunbrauereien gegeben hatte.
Beide Brauereien verbürgen mit ihrer Geschichte und ihren seit jeher gebrauten Biersorten ein altes Stück wertvoller Bayreuther Brautradition und Braukultur.
Nach Informationen von Dr. Rainer Trübsbach
Jean Paul als Genießer
Wir müssen uns Jean Paul als Epikureer vorstellen. Das heißt: Er wusste alles zu schätzen, was ihm zum Beispiel beim Essen und Trinken auf den Tisch kam, mochte es auch bescheiden sein. In seiner Jugend hatte er, aufgewachsen in einem Armen-Haushalt, diese Fähigkeit ausgebildet, die ihn zum wahren Genießer machte. In der Figur des Schulmeisterlein Wutz hat er diese Lebenshaltung genau beschrieben: Man soll zufrieden sein mit dem, was man hat – und das mit offenen Sinnen auskosten.
Jean Paul war kein bloßer Bier-Trinker, sondern wusste sehr wohl zwischen guten und schlechten Sorten zu unterscheiden – und er trank nicht allein aus Liebe zum Bier, sondern um seinen Geist zu beflügeln. Auch einen guten Burgunderwein verachtete er nicht.
In seinem Werk hat er auch dem Essen einen Platz eingeräumt. Im Eheroman »Siebenkäs« schildert er beispielsweise das Hochzeitsmahl des Armenadvokaten. Liebevoller als er hat seinerzeit niemand die Freuden des Essens beschworen. Im Zentrum der siebenkäsischen Tafel steht der »Suppen-Zuber oder Fleischbrüh-Weiher; worin man mit den Löffeln krebsen konnte«, in der ersten »Welt-Ecke« liegt ein »schöner Rind-Torso oder Fleischwürfel«, es folgen »ein Eingeschneizel, eine vollständige Musterkarte der Fleischbank – süßlich traktiert«, dann ein Ungeheuer von »Teich-Karpfen, der den Propheten Jonas hätte verschlingen können, der aber das Schicksal des Mannes selber teilte«, schließlich das »gebackne Hühnerhaus einer Pastete, worein das Geflügel, wie das Volk in einen Landtagsaal, seine besten Glieder abgeschickt hatte.«
Mag auch damals die Region des heutigen Oberfranken – der »Obermainkreis« – keine ausgesprochene »Genussregion Oberfranken« gewesen sein, so hat der oberfränkische Dichter doch die Fähigkeit des Genießens als Quelle der Zufriedenheit beschrieben – mithilfe von »Suppe, Schokolade und Salat«, von gutem ungesalzenem Dinkelbrot, dünnem Käsekuchen und Stollen aus Hof, Gebäck und Wein. Und »das beste hiesige Gericht sei ein Schinken von meiner Frau Schwägerin, und das beste Gericht sei das Bier, das mir eben mein Bruder, der Unteraufschläger, [aus St. Johannis] geschickt«, schrieb er 1820 anlässlich einer Preisfrage, die er in einer kleinen Satire der Münchner Akademie der Wissenschaften unterschob.
Bayreuther Bier
Das Schicksal gibt mir endlich das, um was ich so lang herumirrte [seine Frau Karoline nämlich]. Jetzt fehlt mir nichts wie eine Stadt; wozu ich Sie bitte, mir die wohlfeilste, gebildetste, beste in der Gegend und im Bier vorzuschlagen.
Bin ich erstmal in Bayreuth. Himmel, wie werd ich trinken!
Beim Kaffee konzipieren, beim Bier exekutieren.
Was Trunkenheit ist – die nämlich den Geist lähmt,
anstatt beflügelt kenn’ ich nicht.
Die meisten reden bloß gegen die Laster, die sie selber haben.
Bier für Kinder
Allerdings reiche man ihnen (den Kindern) Wein […]
aus keinem Punsch–, sondern aus einem Eßlöffel und mehr
häufiger als reichlich
und jedes Jahr weniger und in der mannbaren Glutzeit gar nichts.
Bitteres Bier, doch in rechter Entfernung von zwei Mahlzeiten,
ist Reiz und Nahrung zugleich.
Später, im achten, zehnten Jahre aber muß Wasser der Trank und Bier die Stärkung werden.
Den Mädchen würd ich nicht nur länger, als den Knaben Bier vergönnen,
sondern auch immer.
Danken Sie Gott, Freund, im Namen der Nachkommenschaft,
daß Sie, wie ich, nicht in Sachsen, oder im sächsischen Vogtlande,
sondern in Bayreuth, und dem besten Biere,
dem Champagner-Biere am nächsten wohnen.
Weiße Biere, ohne Hopfen, sind Schleimgifte für Kinder
und ungehopftes braunes nicht viel besser.
Jean Paul »Levana oder Erziehlehre«
Häufig denke ich, dass der Dichter Bier und Wein weniger zur Stimulanz getrunken hat. So wird es gerne erklärt. Selbst Jean Paul formuliert das so. Substanzen werden aber auch zur Beruhigung eingenommen. Ein Dauer-Denker wie Jean Paul fährt quasi immer auf Hochtouren. Und seine literarischen Kämpfe werden ihn auch ordentlich in Stress versetzt haben. Vielleicht war das seine Not und er griff deshalb zu Wein und Bier.
Auf Jean Pauls Weg zum Schloss Fantaisie liegt das Schloss Meyernberg
Lässt man nun Bayreuth hinter sich, wandert in Richtung Eckersdorf/Donndorf, wo Schloss Fantaisie zu finden ist, kommt man auf dem Jean-Paul-Weg auch am Schloss Meyernberg mit seinem Schlosspark vorbei. Heute beherbergt es das Stadtgartenamt von Bayreuth. Einst war es ein Rittergut, umgeben von einem kleinen Dorf.
Hier im Park berichtet Groß- und Sonderstation 131 davon, was das Meyernberger Schlösschen mit Jean Paul zu tun hat.
Jean Paul und Bruder Adam
Gut (heute Schloss) Meyernberg
Meyernberg wurde erstmals 1398 urkundlich erwähnt. Es bestand damals aus einem einzigen Hof und trug noch den Namen »Poxreuth« bzw. »Bocksreuth«. Den Vorläufer-Bau zum heutigen Schlösschen errichtete 1676 Johann Anton Mayer. Zur Mitte des 18. Jahrhunderts wurde dieser Hof (inzwischen hieß er »Bockshof« = Hof eines Bock oder Bucko) vom markgräflichen Kammerherrn und späteren Reichspostmeister Johann Gottlob von Meyern zu einem Rittergut ausgebaut und 1753 in »Meyernberg« umbenannt. 1764 verkaufte er es wieder. Herr von Meyern ließ, ganz im Geist der Zeit, zur Förderung einer Seidenraupenzucht unterhalb des Schlosses einige Trupfhäuser errichten.
Schon im 18. Jahrhundert entstanden hier mehrere, noch heute existente Häuser im Dorfkern. J. C. E. von Reiche, der 1795 den Weg von Bayreuth nach der Fantaisie beschrieb, sah damals das »niedliche Dorf Meyernberg im lächelnden Gewand seiner Jugend liegen«.
Zu den weiteren Besitzern des Ritterguts zählte Johann Adam Reichel, der 1841 das Rittergut kaufte. 1843 erwarb es Herzog Alexander II. von Württemberg, der es 1866 seiner Gemahlin Emilie, der »schönen Bäckerin« überschrieb.
Im Schloss Meyernberg ist seit 1964 das Stadtgartenamt der Stadt Bayreuth untergebracht.
Die schöne Bäckerin
Selbst der frauenverachtende Misanthrop und Philosoph Arthur Schopenhauer war von ihr entzückt: der »schönen Bäckerin«, wie sie im Frankfurter Volksmund auch genannt wurde. Als Emilie von Meyernberg, Gattin des auf Fantaisie residierenden Herzogs Alexander II. von Württemberg, ist Amalie Katharina Pfennigkäufer in die Bayreuther Geschichte eingegangen.
Ihre erstaunliche Karriere begann sie als Gänsemagd auf Marburger Dörfern. Dann arbeitete sie in einer Frankfurter Bäckerei, bis sie 18-jährig 1847 ihren sehr viel älteren Dienstherren heiratete, dessen Sohn sich anschließend aus Liebeskummer erschoss.
Aus dieser Situation »errettete« sie der 1856 durch Frankfurt reisende Herzog Alexander II. von Württemberg, indem er sie regelrecht und für teures Geld loskaufte. 1865 wurden beide in Frankfurt nach etlichen Sonderbeschlüssen zivil, 1866 in Bayreuth sogar kirchlich getraut – sehr zum Leidwesen des verliebten Sohnes aus erster Ehe, Herzog Philipp von Württemberg. Eine solche nicht standesgemäße Ehe nannte man auch »morganatisch« oder »Ehe zur linken Hand«.
Sehr beliebt war die schöne, charmante und herzensgute Herzogin bei den Bayreuthern zunächst nicht. Obwohl Schloss Fantaisie nach dem Tod ihres Gemahls 1881 in andere Hände überging, blieb sie Fantaisie und als Herrin des Schlösschens Meyernberg ihrer neuen Heimat und seiner Bevölkerung verbunden.
Im Lauf der Jahre aber wurde ihr zweites Domizil – das herzogliche, von Gontard (ebenso das Harmonie-Gebäude, wie oben bereits erwähnt) erbaute Reitzenstein-Palais am Luitpoldplatz – zum Mittelpunkt der Bayreuther Gesellschaft. Sie überlebte ihren zweiten Gatten um 34 Jahre und starb im März 1915 hochbetagt als geachtete und äußerst beliebte Persönlichkeit. Der Stadt Bayreuth überließ sie ihr Palais schon vier Jahre vorher (wobei die Nutzung zu wirtschaftlichen Zwecken ausgeschlossen war), es diente dann bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg als Neues Rathaus. In ihrem Testament bedachte sie die Notleidenden von Donndorf und Meyernberg sowie arme Studenten und Kinder in der Stadt Bayreuth ebenso wie Freunde und Bedienstete. Noch heute ruht sie neben Herzog Alexander II. von Württemberg in der Herzogsgruft (Mausoleum) auf dem Bayreuther Stadtfriedhof (– wie auch Jean Paul).
Hier starb auch Jean Pauls Bruder Adam.
Der verschollene Bruder
Johann Adam Christian Richter (1764‒1816), der jüngere Bruder Jean Pauls, wurde zunächst Barbiergeselle. 1782 trat er in die Bayreuthisch- Ansbachische Armee ein. Die Mutter sorgte sich, denn der Soldatenstand war schlecht und die Zeiten stürmisch. Bemerkte der ältere Bruder (Jean Paul) noch 1782: »Er kann an einen guten Herren geraten sein«, so schien der Bruder 1786 den Militärdienst bereits wieder quittiert zu haben. In diesem Jahr suchte Adam im Umkreis von Hof und in Hirschberg nach einer Anstellung, wo er vermutlich 1786 den Beruf wechselte, um als Barbier bzw. »Chirurgus« zu arbeiten. Sein weiterer Lebensweg verliert sich anschließend fast im Dunkel.
1811 traf Jean Paul den Bruder überraschend auf seiner Postkutschen-Fahrt nach Erlangen, und zwar bei Truppach:
»Ich hielt, er kam mit zwei Bündelchen, zeigte mir eine neue Weste und sich erträglich restauriert. Er gehe nach Kulmbach etc. sagt’ er. Ob er gleich keine Einbuße bei diesem Begegnen hatte: so schnitt doch lange der Gedanke hart in mir herum, daß der eine Bruder da freudig fahre und der andere in Wälder-Ecken stehe und ohne Sonn- und Festtage lebe, die der Stadt-Ärmste doch hat. Aber ihn könnte nicht einmal das große Los für immer erretten.«
Am 31. Dezember 1816 erhielt Jean Paul die Nachricht, dass Adam »nach langem Herumirren endlich auf die sanfteste Art in Meiernberg die längste Ruhe« gefunden habe. »Am Donnerstag laß’ ich ihn begraben.«
Der Bruder hinterließ 15 versiegelte Bettelbriefe.
Vor dem Schloss oder Gut Meyernberg, begegnet uns auch wieder eine der selteneren Landschaftstafeln, jetzt mit der Nummer 20.
Weitblick Anno dazumal
(Schlosspark Meyernberg)
1784 unternahm der Hofmeister Johann Michael Füssel mit seinen drei elf- bis sechzehnjährigen Zöglingen eine Bildungsreise durch Franken und damals konnte man von hier aus noch weit(er)sehen:
»Gestern fuhren und ritten wir bey frühem Morgen nach Sanspareil. Eine halbe Stunde von Baireuth, auf einer Anhöhe, beym hohen Gericht oder Galgen hat man eine gänzliche Uebersicht von Baireuth. Diese Stadt scheint hier noch einmal so groß zu seyn. Denn sie stellt sich dem Auge so dar, dass sie, der neue Weg, nemlich die vielen Häuser, welche links bey der Caserne liegen, und St. Georg am See nur eine zusammenhängende Stadt zu seyn scheinen.
Die Gegend von Heinersreuth, eines Dorfes gegen Abend am Mayn, die lange Aue, der Bindlacher Berg links gegen Morgen, der Gipfel des Fichtelbergs, die abwechselnden Gegenden von der Eremitage, und dem Thiergarten, rechts die grossen Weiher, der Sophienberg und die blauen fernen Spitzen der Muckendörfer [Muggendörfer] Berge, die seit kurzem ihrer herrlichen Hölen* wegen so berühmt geworden sind, das alles giebt einen Ueberblick von Abwechselungen, von denen sich das Auge ungern wegziehet.
Bis ohngefehr eine Stunde von Baireuth fährt man auf Chaussee; aber dann fängt ein (sehr schlechter) Weg an …«
*Hölen oder Hielen sind im Kalkgebiet Zisternen.
Ja, jetzt, wo das Land sich wieder weitet, die Wege so schön sind, dass man nur noch Wandern will, da spüren wir nun, dass das eben heute nicht mehr geht. Peters Sprunggelenksverletzung ist zwar abgeheilt, aber es hat sich nun eine schwere Arthrose gebildet. Das heißt, da ist kein Knorpel mehr zwischen den Gelenken. Ohne Stoßdämpfer reibt also Knochen auf Knochen. Peters Zu-Fuß-Radius beläuft sich nunmehr auf ungefähr 500 Meter. Dann schmerzt ihn das Gehen derart, dass er pausieren muss. An Wandern ist nicht mehr zu denken. Radfahren wäre möglich, aber wir sind im Kopf und in der Seele keine Radfahrer, da hilft auch kein E-Bike. Nun denn.
Würden wir von Meyernberg zur Fantasie zu Fuß gehen, kämen wir auch an folgendem Emigrantenstein vorbei.
Der Emigrantenstein
Wer den Weg von Bayreuth zum Schloss und Park Fantaisie über Meyernberg nimmt und dabei den (die Schleife der Bamberger Straße am Matzenberg abschneidenden) Fußsteig benützt, findet am Hang, umrahmt von wucherndem Gebüsch und Moosflechten, einen größeren Felsen mit einer Inschrift.
Er wurde 1796 von 20 dankbaren Franzosen errichtet, die nach ihrer Ver-treibung aus Frankreich infolge der Wirren der Französischen Revolution in Bay-reuth vorübergehend eine neue Heimat fanden. Unter ihnen war auch der spätere Dichter und Weltreisende Adalbert von Chamisso (1781‒1838), der durch »Peter Schlemihls wundersame Geschichte« unsterblich wurde.
Schon einmal, 1686, waren Flüchtlinge aus Frankreich hier in die Gegend ge-strömt. Damals waren es evangelische Glaubensflüchtlinge, die, in der Folge der Aufhebung des Edikts von Nantes, Frankreich den Rücken kehrten. Die Revolution 1789 trieb nun vor allem auch den Adel Frankreichs in die Emigration; in Paris drohte die Guillotine!
Auf der Fantaisie fanden einige eine Zuflucht und im Bayreuther Land neue Heimat.
Wir waren nicht dort. Wir sind unten herum über das Gut Geigenreuth durchs Tal zum Schlosspark der Fantaisie gelangt.
Bei Geigenreuth ist Groß- und Sonderstation 132.
Jean Paul und die Tiere
Gut Geigenreuth
Es gibt eine indirekte Beziehung des Gutes Geigenreuth zu Jean Paul und seiner Familie: 1882 erwarb der Bankier Salomon Schwabacher, der Sohn von Joseph Isaak und Rosa Schwabacher, dieses Gut, daneben für kurze Zeit auch die nahe gelegene Fantaisie. Salomon Schwabacher (1803–1884) war ein Sohn der Eheleute, die seit 1817 die Wohnung in der Friedrichstraße 5 an Jean Paul vermietet hatten.
Am (Schutz-)Kauf des Gutes und der Fantaisie waren damals auch der Bankier Friedrich Feustel – der im Verwaltungsrat der Bayreuther Festspiele saß und zu den stärksten Mitstreitern Richard Wagners gehörte – und der Möbelfabrikant Johann Adam Eysser beteiligt. Die Grundstücke sollten nicht in falsche Hände geraten. 1895 wurde das Gut wieder veräußert.
1968 wurde das Reitzentrum Reitzentrum Geigenreuth gegründet.
Es gibt eine indirekte Beziehung des Gutes Geigenreuth zu Jean Paul und seiner Familie: 1882 erwarb der Bankier Salomon Schwabacher, der Sohn von Joseph Isaak und Rosa Schwabacher, dieses Gut, daneben für kurze Zeit auch die nahe gelegene Fantaisie. Salomon Schwabacher (1803 - 1884) war ein Sohn der Eheleute, die seit 1817 die Wohnung in der Friedrichstraße 5 an Jean Paul vermietet hatten.
Am (Schutz-) Kauf des Gutes und der Fantaisie waren damals auch der Bankier Friedrich Feustel - der im Verwaltungsrat der Bayreuther Festspiele saß und zu den stärksten Mitstreitern Richard Wagners gehörte - und der Möbelfabrikant Johann Adam Eysser beteiligt. Die Grundstücke sollten nicht falsche Hände geraten. 1895 wurde das Gut wieder veräußert.
1968 wurde das Reitzentrum Geigenreuth gegründet.
Der Tierliebhaber
Jean Pauls Verhältnis zu Tieren war ein außerordentlich freundliches. Immer wieder wies er darauf hin, dass das Tier ein Verwandter des Menschen sei. In dieser Beziehung ähnelte er dem heiligen Franz von Assisi, der in den Kreaturen Brüder und Schwestern sah. Besonders liebte er die Hunde. Mit einem Spitz zog er nach Bayreuth, später besaß er den Pudel Ponto, der hier mit ihm auf einem populär gewordenen Scherenschnitt verewigt ist und ihm öfters als Kopfkissen diente. Gelegentlich schnitt er seinem Hund Locken ab, wenn seine Verehrerinnen wieder einmal nach echten Dichterlocken verlangten, die sie an ihrem Busen tragen wollten.
Es fällt auf, dass alle drei Bayreuther Größen – Markgräfin Wilhelmine, Richard Wagner und Jean Paul – Hunde liebten (Folichon, Russ und Ponto …) und ihnen zum Teil sogar eigene Gräber errichteten.
Interessant sind in diesem Zusammenhang auch die Werke des Künstlers Ottmar Hörl. Bekannt wurde er durch die Plastik-Kopien des »Dürer-Hasen«. Hörls Objekte der »Kopier-Begierde« waren auch Wilhelmines Zwergspaniel Folichon und Wagners Neufundländer Russ. Jean Pauls Pudel Ponto hat Hörl noch nicht entdeckt.
Jean Paul hielt auch ein Eichhörnchen, das er bei seinen Gängen in die Gesellschaft Harmonie in der Rocktasche bei sich trug, einmal sogar bei einer Taufe, bei der er Pate war. Seinen Hund durfte er allerdings nach mehrfachen Warnungen nicht in die Harmonie mitbringen. Zuhause hielt er Frösche und Fliegen, um seine Wetterprognosen erstellen zu können.
Sein Freund Emanuel Osmund schenkte ihm zum Trost einen Kanarienvogel, als sein Spitz entlaufen war.
Auch dem Pferd hat er in seinem Werk einen Platz eingeräumt: Im Roman »Flegeljahre« schildert er, wie sich einer der Helden, Walt, auf eine anstrengende, aber sehr komische Reise zu Pferde begibt. »Er ritt hin, und sein Pferd ging zu Fuß hin.« Dies ist eine satirische Erinnerung an Jean Pauls ersten und einzigen Ritt, der ihn 1780 nach Bayreuth führte – und ihn vom Pferd stürzen ließ.
Der Hundefreund ...
»Ich beschäftige mich gern und viel mit Tieren und besonders mit Hunden. Sie sind viel verständiger und feiner organisiert, als man glaubt. Geben Sie nur acht, wie fein z. B. das Ohr dieses Tieres unterscheidet.« Jean Paul bot ihm darauf einen Bissen dar, mit dem laut ›va‹ (kurz gesprochen). Ponto rührte ihn nicht an. Der Herr sagte ebenso kurz ›da‹, und der Pudel schnappte vergnügt zu. »Es liegt nicht im Ton, denn ich spreche eins so deutlich wie das andere, ja ich will das ›va‹ freundlich und das ›da‹ zurückweisend sprechen, der Hund wird sich nicht irren.«
Wirklich zeigte Ponto, daß er seiner Sache gewiss sei, und verschnappte sich im buchstäblichen Sinne des Worts auch nicht ein einziges Mal, wie vielfältig sein Herr auch mit dem ›da‹ und ›va‹ wechselte.
Ludwig Rellstab: Aus meinem Leben (1861)
Wir liefen um die Wette hinüber, ein jedes wollte das erste neben ihm auf dem langen Kanapee sein; der alte Geldkoffer mit Eisenreifen und
einem Loch oben im Deckel, daß ein paar Mäuse nebeneinander ohne Drücken hindurch konnten, wurde in der ängstlichen Eile die Treppenstufe, von der man über die Kanapeelehne stieg. Denn vorn
zwischen dem Tisch und Repositorium sich durchzuwinden, war mühselig. Wir drängten uns alle drei zwischen die Sofawand und des liegenden Vaters Beine, oben über ihm lag der schlafende Hund.
Hatten wir endlich unsre Glieder zusammengeschoben und in die unbequemste Stellung gebracht, so ging das Erzählen an.
Aus den Aufzeichnungen der Tochter Emma
... und der Hundedichter
Sogar die sechs Hunde reiseten nicht völlig ohne Beobachtungsgeist, sondern strichen und merkten überall, wo sie auf etwas Erhebliches stießen, es sofort mit wenigem an und hoben beteuerungsweise das Hinterbein auf.
Jean Paul »Des Rektors Florian Fälbels und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg«
»Männlein«, (sagt' er zum Quintaner [Pudel]; denn er redetet gern wie die Liebe, die Kinder und die Wiener in Diminutiven) »Männlein, gib mir den Bündel her bis ans Dorf – lauf dich aus und suche dir einen kleinen Vogel, wie du bist, damit du was zu ätzen hast unter den Ferien.« – Denn das Männlein war zugleich sein Edelknabe – Zimmerfrotteur – Stubenkamerad – Gesellschaftskavalier und Laufmädchen; und der Pudel war zugleich sein Männlein.
Jean Paul »Leben des Quintus Fixlein«
Ach, Fidel!
Du begleitest uns nun auch nicht mehr.
Es regnet jetzt. Gerade noch haben wir es ins Auto geschafft. Für heute fahren wir zurück nach Hause. Links saust am Stadtrand das »Ypsilon-Hochhaus« an uns vorbei und ein – nein, fast zwei Regenbögen beugen sich sanft über uns und Bayreuth.
Ronneburg, den 3. Juni 2017 – Nachtrag
Die Nachtviolen über Fidels Grab sind prächtig gewachsen und blühen jetzt. Ein Stängel des Tränenden Herzens hat sich weit über Fidels Laterne hingeneigt, als spüre er den Wicht da unten schlummern und wolle ihm Gesellschaft leisten. Weiße Waldmeisterblütenwölkchen tun es Fidels Locken gleich. Dann, als es dämmert, vernehme ich zum ersten Mal den Duft der Nachtviolen in unserem Garten. Er legt sich leicht über alles und schwebt mit meinen Gedanken hinauf, immer nur hinauf.
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