29. Leben und Sterben in Bayreuth – Schwabacher-Haus

Bayreuth – Friedrichstraße 5, das Schwabacher-Haus
Bayreuth – Friedrichstraße 5, das Schwabacher-Haus

Bayreuth – Friedrichstraße 5


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Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern

Weitere Informationen über Jean Paul und Bayreuth: Literaturportal Bayern – Dichterwege. Auf den Spuren von Jean Paul

Siehe auch: Historische Innenstadt von Bayreuth

 

Nun beginnt die »Geschichte eines Hauses«

Jean Paul war also zu Martini, am 15. November 1813, in die Friedrichstraße 5, 2. Stock, gezogen. Damals gehörte das Haus noch nicht den Schwabachers. 

Das Schwabacher-Haus heute – Friedrichstraße 5 in Bayreuth, Jean Pauls letzte Wohnung
Das Schwabacher-Haus heute – Friedrichstraße 5 in Bayreuth, Jean Pauls letzte Wohnung

Aus Philipp Hausser »Geschichte eines Hauses«: … Jean Paul war also in den 2. Stock unseres Hauses (Nr. 5) eingezogen mit Frau Caroline, geb. Mayer, aus Berlin, den Töchtern Emma und Odilie, dem Sohn Max, dem Hund, wahrscheinlich auch mit Vögeln, Fröschen und einem Eichhörnchen. Doch von all dem, der Wohnung, dem Familienleben, der Arbeitsweise in diesem Hause werden wir aus Berichten besuchender Zeitgenossen später mehr hören.

Zunächst tauchten schon im August 1814 neue Wohnungssorgen auf. Das Haus sollte verkauft werden, Richters war gekündigt worden. Jean Paul suchte sich eine neue Wohnung, überlegte ernstlich, nach Nürnberg zu verziehen. Aber auch in der Nachbarschaft schaute er sich um. Am 9. August 1814 schreibt er wieder an seinen jüdischen Freund Emanuel Osmund (Bankier):

»Könnte man den Juden gegenüber nicht zum Ausziehen auf eine freundlichste Weise (bringen)? Heute geht in meiner Quartier-Noth mein Brief nach Nürnberg.«

Und gleich am nächsten Tag resignierend:

»Beide Quartiere hatte C(aroline) heute besucht und unbrauchbar gefunden. Kein Logis ist wohl bequemer als das, was man ganz allein bezieht, nie verläßt und das zugleich zu einer Art Bette dient.«

Und am 17. August 1814 wieder an Emanuel:

»Noch schweb’ ich zwischen Baireuth und Nürnberg, so konsequent bleibt sich mein Teufels Quartal oder Teufels Sommer, wie man einen Mädchen Sommer hat. Sovielen Menschen ich auch meine Noth bekannt gemacht, oder viel mehr eben darum habe ich die neue Bemerkung gewonnen, daß unter allen Nöthen des Nächsten die Menschen gegen die Quartier-Noth am gleichgültigsten sind.« …

Mieter sein, heißt oft Mensch zweiter Klasse zu sein

Nichts im Leben ist entblößender und kleinmachender, als sich als ein Woh­nungssuchender, zumal noch aus einer Not heraus, und sei es die der Zeit, zu erkennen zu geben. In Anbetracht dessen, dass der Mensch nicht anders kann, als zu wohnen, wundert einen wirklich die Gleichgültigkeit, die wohnungs­suchenden Menschen entgegengebracht wird, so als ob es eine Art Schande wäre, bei solchen Problemen zu helfen, mit was auch immer. Die nächste Stufe der »Wohnungssuche« – wenn sie nicht mit einem Erfolg endet – wäre ja »Obdachlosigkeit«, und da wird die Schande, die einer »Wohnungssuche« inneliegen könnte, sichtbar.

 

Aus Philipp Hausser: … Doch ging alles gut. Das Logis »ganz nach seinem Wunsche« blieb, Jean Paul blieb, gottlob, und nicht nur des Hauses wegen, Bayreuth erhalten. Denn am 26. August 1814 frohlockt er wieder:

»Guten Abend, Emanuel! Ich habe auch einen. Ich bleibe im Quartier, weil der Hausverkauf krebsgängig geworden.«

Und anderntags:

»Guten Morgen, mein Paradies-Gärtner! – Heute gefällt mir der Herbst ganz an­ders, weil diese Jahreszeit gerade zum häuslichen Bleiben eingerichtet ist wie der Frühling zum Fliegen.«

Dem großen Manne scheint so recht hörbar ein Stein vom Herzen gefallen zu sein. Wie aus späteren Zitaten deutlich wird, kümmerte sich Jean Paul um die kleinsten Dinge des täglichen Lebens. So verwundert sein Kummer in diesen Woh­nungsangelegenheiten nicht. […]

 

Drei Jahre später wurde das Haus dann doch verkauft. Jean Paul befand sich auf einer Reise und wurde von seiner Frau brieflich unterrichtet. Wieder zogen Wolken am Richterschen Logishimmel auf. Aber bevor wir zusehen, wie sie sich rasch wieder zerstreuten, wollen wir uns den neuen Hauswirt, meinen Ur-Ur-Urgroßvater besehen. …

 

Das war Isaak Josef Schwabacher, der neue Besitzer des Hauses in der Friedrichstraße 5. Die Schwabachers wohnten dann selbst auch im Haus, so auch die Nachfahren. 

Ein Nachfahre ist Dr. Philipp Hausser. Er hat am 21. März 1963, aus Anlass des 200. Geburtstags von Jean Paul Friedrich Richter, das Buch »Die Geschichte eines Hauses« herausgegeben. Hierin beschreibt er das Leben der Familie Richter in der Friedrichstraße 5.

 

Ich stehe, nun im Jahr 2017, vor dem Haus und fotografiere. 

 

Ein kleines Schild mit der Aufschrift »Friedrichstraße 5, Garten – Wohn- und Sterbehaus des Dichters Jean Paul (1763‒1825)« befindet sich am Zaun. Auch ein Hinweis auf Stationstafel 123.

Das Schwabacher-Haus heute
Das Schwabacher-Haus heute

Passanten wundern sich, von was ich da wohl Fotos mache, was denn da so interessant sei. Zwei Frauen kommen vorbei, die eine liest jetzt selbst das Schild.

»Da steht was mit Jean Paul …«, murmelt sie.

Die andere: »Ja, da war doch was?« 

Und schon sind sie weg. Jetzt macht Peter seine Fotos. Ein Pärchen schlen­dert vorbei. Sie weiß, was es mit dem Haus auf sich hat und informiert ihren Begleiter:

»Da hat der Jean Paul gewohnt.«

»Aha«, sagt der Mann und blickt noch einmal zurück.

»Das ist der mit dem Titan«, ergänzt sie.

»Bist du aber schlau«, wundert sich ihr Begleiter.

»Nein, nur belesen!« Dann sind auch sie weg.

 

Vor dem Haus finde ich aber keine Jean-Paul-Station, sondern nur jenes kleine Gartenschild, auf dem es auch heißt: »Führungen in den Jean-Paul-Garten mit seiner berühmten Dichter-Laube können gebucht werden. Bitte haben Sie Ver­ständnis, dass dieses Privatgrundstück öffentlich nicht zugänglich ist.«

 

Hinter dem Haus erkennt man einen Garten, das Tor steht offen, Garagen sind zu sehen. Erst trauen wir uns nicht hinein.

»Wenigstens von hier vorne könnten wir doch ein paar Fotos machen? Oder?«, überrede ich Peter.

Und kaum, dass wir ein paar Schritte hinters Haus gegangen sind, kommt ein junger Mann auf uns zu. Wir befürch­ten eine Rüge, aber er versichert uns gut gelaunt: 

»Gehens nur nach hinten, durch den ganzen Garten. Da hat der Jean Paul gewohnt. Die Tafeln sind ganz hinten an der Mauer. Aber passens auf, bei dem Efeu, da ist ein Wespennest. Nicht zu nah rangehen. Ich hab’ sie fei gewarnt, wenn was passiert.« 

»Oh danke! Das ist ja klasse! Durch den ganzen Garten?«, frag ich noch einmal. 

»Ja, ja … nur zu!«

 

Und hier die Stationstafel der Groß- und Sonderstation 123.

Groß- und Sonderstation 123 »Jean Paul und das Schwabacher-Haus« ganz hinten im Garten an der Mauer
Groß- und Sonderstation 123 »Jean Paul und das Schwabacher-Haus« ganz hinten im Garten an der Mauer

Jean Paul und das Schwabacher Haus, Friedrichstraße 5

 

Herr und Frau Schwabacher

 

Zum Vermieterehepaar hatten Jean Paul und seine Frau ein sehr freundliches Verhältnis. Wohnte man hier zunächst beim Bergrat Kamblah zur Miete, so erwarb 1817 der jüdische Handelsmann und Bankier Isaak Joseph Schwabacher das Haus.

 

Schwabacher wurde 1774 in Ansbach geboren, 1800 ist er in Bayreuth mit Schutzbrief und Konzession amtlich eingetragen. 1817 kaufte der wohlhabende Mann das Gebäude Friedrichstraße 5 und zog mit seiner Familie auch dort ein. Sein Geschäft führte er im Seitenflügel des ersten Stocks. Hier lebte er bis zu seinem Tod im Jahre 1844 zusammen mit seiner Frau Rosa, genannt Rösel, einer geborenen Neustädter.

 

Das Bankwesen brachte es mit sich, dass Jean Paul sich manchmal auch in Geldsachen an Schwabacher wandte. Besonders bei seinen »Auslandsreisen« war der Dichter auf die Dienste des Bankiers angewiesen. Gelegentliche Vorbehalte in geschäftlichen Angelegenheiten konnten die gegenseitige Achtung jedoch nicht trüben.

 

Es ist bemerkenswert, dass das Haus bis heute in Besitz der Familie Schwabacher und ihrer Nachkommen blieb. Über Salomon und dessen Sohn Michael Schwabacher, die auch Bankiers waren, gelangte es an Philipp Hausser, den Ururenkel von Jean Pauls Vermieter, der 1980 seine bedeutende Jean-Paul-Sammlung als Grundstock des im selben Jahr eröffneten Jean-Paul-Museums der Stadt Bayreuth stiftete.

Ja, und dann muss ich es zugeben: Beim Durchschreiten des Gartens wurde es jetzt auch mir ganz warm ums Herz. Allein bei dem Gedanken, dass er hier ein und aus ging, die Natur beobachtete und genoss, sich freute, der Äolsharfe lauschte, seinen Pudel Ponto badete, schrieb und las, seine Kinder umherhüpften, seine Frau Karoline ihn besuchte, ihn herzte und sie sich auch mal küssten, vielleicht, die Mägde die Aborteimer entsorgten, im Winter die Kinder sich in Schneeballschlachten verausgabten und alles voller Lachen war. Verwunschen sieht der Garten heute aus, so als ob sich nie etwas verändert hätte. Kleine Gemüsebeete, ein bisschen vernachlässigt, eine leicht schief getretene Sandsteintreppe, mit Efeu umschlungene Mauern, eine verrostete Kinderschaukel.

 

Uns trennten jetzt nur 200 Jahre und ich hätte nur durch den Zaun zu spinksen brauchen, um ihn zu sehen. Da sind sie, die Reliquien-Gefühle. Auch mich haben sie jetzt gepackt.

In Jean Pauls Garten ... fast ist alles so, als ob er gerade hier gesessen hätte
In Jean Pauls Garten ... fast ist alles so, als ob er gerade hier gesessen hätte

Philipp Hausser fährt fort: … Wenn wir nun Jean Paul etwas eingehender in unserem Hause selbst beobachten wollen, seine Person, seine Umgebung, Arbeitsweise und Lebensgewohnheiten, so dürfen wir nicht vergessen, daß er beim Einzug 1813 ein Mann auf der Höhe seines Lebens war, geachtet, geliebt von der Intelligenz seiner Zeit, aber schon sehr nachlässig in seinem Äußeren, ein Original würden wir heute dazu sagen, doch eben ein Genie, das sich die Freiheit der Originalität nehmen konnte. In den letzten Jahren hingegen ein kranker, körperlich verbrauchter, halbblinder Mann war der Dichter doch immer noch ein Feuerkopf, der unermüdlich arbeitete.

 

Wenn wir den großen Mann also besuchen oder – noch besser – mit ihm zusammen zu seiner Wohnung hinaufsteigen wollen, dann sind wir, um ein Bild Jean Pauls in unserem Hause zu gewinnen, auf die Niederschriften fleißiger Besucher angewiesen, die meist in großer Verehrung zu dem Dichter gewallfahrtet sind. Und es waren damals wirklich Wallfahrten zu Fuß oder in tagelangen Postkutschenreisen. …

 

Nach einem Grundriss von Philipp Hausser gab es ein Arbeitszimmer Jean Pauls, … das ein Fenster zum Hof und eines zum Garten hat. Durch das letztere konnte man den Garten mit der Laube übersehen und den Blick bis zu den »blauen Höhen des Fichtelgebirges« schweifen lassen. […] Gegenüber dem Hoffenster liegt die andere Tür, die über einen winzigen Korridor – das ist heute alles noch unverändert – Jean Paul ein von Besuchern unbemerktes Entweichen erlaubte. …

 

Die Wohnung ließ also ein regelrechtes »Empfangsspiel« zu, schon fast wie bei Hofe. Gelangten die Gäste über die Treppe nach oben, wurden sie im schönsten Raum, dem Saal, empfangen, um dann über zwei weitere Räume oder – auch direkt – ins Vorzimmer geführt zu werden, in dem man auf Jean Paul war­ten mußte. Wenn er denn kam. Denn bei unliebsamen Gästen konnte er von seiner Familie, quasi unbemerkt, »von hinten« vorgewarnt werden und ebenso dort entschwinden. … ein herrlicher Rundlauf für die Kinder, aber auch die Erwachsenen können sich oft lange suchen, wenn sie hintereinander herlaufen. …

Plan von Jean Pauls Wohnung in der Friedrichstraße 5/Bayreuth – aus »Die Geschichte eines Hauses« von Dr. Philipp Hausser
Plan von Jean Pauls Wohnung in der Friedrichstraße 5/Bayreuth – aus »Die Geschichte eines Hauses« von Dr. Philipp Hausser

Um sich die Wohnung besser vorstellen zu können, eignet sich auch ein Bericht des schwedischen Dichters Atterbom von 1817: … »… Also begaben wir uns um 11 Uhr auf die Wanderung nach der Wohnung dieses merkwürdigen Wesens (Jean Paul). In einem geräumigen und zierlichen Hause der schönsten Gasse der Stadt stiegen wir zwei Treppen hinauf, die prosaischer aussahen als jene des Lustschlosses in Lilars Park. Unser Diener ergriff die Klingel der Saaltüre und schellte – aber niemand kam, um zu öffnen. Hierauf legte ich die Hand an eine Seitentür, die sofort aufging und in ein kleines Gemach führte, dessen ganzer Inhalt weibliche Tätigkeit und weiblichen Aufenthalt verriet. Ein […] Mädchen, schlank gewachsen und höchst einfach gekleidet, stand überrascht und verlegen vor mir und blickte mich mit den großen Augen, die halb von den langen Wimpern beschattet waren, gerade so sittsam und ehrbar an wie das Miniaturbild einer Holbeinschen Madonna.

›Wohnt hier der Legationsrat von Richter?‹ fragte ich. – ›Sind Sie der schwedische Dichter?‹ erwiderte sie halblaut. – ›Ja freilich bin ich der!‹ das war meine Antwort. – ›Ei, das will ich gleich dem Vater sagen!‹ rief sie, und damit hüpfte sie durch eine Tür zur Rechten, die sich gleich darauf auch für mich und Hjort öffnete. Wir gelangten nun in ein größeres Gemach, welches wahrscheinlich (obwohl im übrigen höchst simpel) die Ehre und Würde eines Vorzimmers bekleidete. Daselbst saß eine andere, jedoch kleinere Tochter Jean Pauls und spielte Klavier an der Seite eines Musiklehrers, den ich in der ersten Verwirrung für Jean Paul selbst hielt, aber natürlich meinen Irrtum sehr schnell einsah. In dem selben Augenblick öffnete sich eine andere Türe, und siehe da! eine Gestalt watschelte auf uns zu, die das Aussehen eines wohlhabenden Gastwirts hatte: feist und kahlscheitelig, einen alten grauen Überrock nachlässig über den stattlichen Bierbauch zugeknöpft, im übrigen ohne Halstuch und und Weste offenstehend über der breiten, ziegelroten, behaarten Brust, mit einem Worte: im tiefsten Negligé.«

 

Am Endes des gleichen Briefes berichtet Atterbom noch über den »Saal«:

»Nun wurden wir auf spezielle Veranlassung seiner Frau auf einem andern, auf einem wahren Prachtwege, hinausgeleitet, nämlich durch den Saal, der wirklich sehr schön und mit verschiedenen Malereien versehen war; …

Eine lustige Wohnung voller Leben

Eine gewisse Marie Moier berichtet von der Erzählung des russischen Dichters Schukowsk (Jukow), der Jean Paul besuchte: … »… Jukow bat ihn, ihm sein Studierzimmer zu zeigen, was der Alte auch tat. Das Studierzimmer war das vierte vom Gesellschaftszimmer; je weiter sie gingen, desto unordentlicher wurde es; endlich machte er eine Tür auf, und ein großer Pudel sprang heraus. Jean Paul befahl ihm, sich wieder hinzulegen, und Jukow sah die schmutzigste und unordentlichste Stube in der Welt Gottes. Da waren drei Kana­rienvögel, die Bücher und gehackte Eier durcheinander, endlich ein großer Schrank, worin lauter Hefte lagen, in welchen Jean Pauls Gedanken klassifiziert einge­schrieben sind. …« …

Marie Moier an Dr. Seidltiz, Dorpat, 29. Jan. 1822

 

Ehefrau Karoline beschreibt den Tagesablauf der Richters 1818 in einem Brief an Ernestine Voß (Ehefrau des Philologen Heinrich Voß, eines Freundes von Jean Paul) in Heidelberg: … »Um 6 1⁄2 oder 7 Uhr steht mein Mann auf, der wegen seines unterbrochenen Schlafs und des Schweißes, welcher seiner Gesundheit unerläßliche Bedingung ist, länger im Bette bleiben muß. Er wartet mit dem Kaffee noch eine Viertelstunde, bis er Wasser getrunken hat, und trinkt ihn beim Lesen vorbereitender Sachen auf dem Kanapee liegend allein auf seinem Zimmer … Wir essen spät, … nur ein Gericht, doch muß es kräftig und mit Behutsamkeit gekocht, gedämpft oder gebraten werden, damit es die gerade  Mitte hat, und da das keiner Magd in seinen feineren Nuancen beizubringen ist, so bewache ich es selbst … Um 1 1⁄2 Uhr schlägt die Mittagsglocke, wo mein Mann nicht eine sechzehntel Sekunde zu früh gerufen werden darf, dem übrigens am Vormittag alle glänzenden Marktakquisitionen jubelnd gezeigt werden dürfen. …« …

Karoline Richter an Ernestine Voß, 8. Sept. 1818

 

Oder die Geschichte über Jean Pauls Fliegenzucht von Rudolf Wagner ...

Oder ein Besuch von Ferdinand Grimm, einem Bruder von Wilhelm und Jacob Grimm. Er schildert in einem Brief vom 1. März 1815 seinen Besuch bei Jean Paul. Köstlich.

 

Auf der Stationstafel der Groß- und Sonderstation 123 am Schwabacher-Haus wird noch einmal ein wenig Jean Pauls Familie vorgestellt, seine Ehefrau Karoline, wie er sie kennenlernte, seine Kinder, und wie sie hier alle zusammen lebten.

Die Treppe zum Ehebette

 

Jean Pauls erotische »Flegeljahre« endeten in einer bürgerlichen Ehe. Die »Erotische Akademie« in Hof mit ihren empfindsamen Harmlosigkeiten war mit zunehmender Prominenz des Junggesellen von den »Titaniden« abgelöst worden. Was immer er auch für sein Werk daraus gewann, die Verehrerinnen meist adligen Geblütes (Charlotte von KalbEmilie von Berlepsch, Gräfin Henriette von Schlabrendorff u. a.) mussten auf die Dauer lästig fallen. Freilich hat sie Jean Paul lange genug genossen, dadurch aber auch eine prekäre Mischung aus Gehemmtheit und Koketterie überwunden … 1801 heiratete Jean Paul die so geistig rege wie bürgerlich solide Karoline Mayer. Der 38-Jährige entschied sich für Bürgerlichkeit und Sesshaftigkeit.

 Manfred Eger (1981)

Die Gattin: Karoline Mayer

 

Jean Pauls Frau Friederike Leopoldine Karoline, die Tochter des Obertribunal­rats (Gerichtsbeisitzers) Johann Siegfried Mayer, wurde 1777 geboren. Sie war also 14 Jahre jünger als der Dichter. Er lernte sie und ihre beiden Schwestern Mitte 1800 in Berlin kennen. Noch im November verlobte er sich mit ihr, nachdem sie eine frühere Verlobung gelöst hatte, und schon am 27. Mai 1801 fand in Berlin die Hochzeit statt: »Einzige! Endlich hat mein Herz ein Herz!«

 

Karoline Richter verehrte zunächst ihren Mann als »gottähnlichsten Mann«, der ihr je begegnet sei. 1802 bis 1804 kamen ihre drei Kinder zur Welt, in regelmäßi­gem Jahresrhythmus: Emma, Max und Odilie.

 

Später kühlte sich das Verhältnis der Eheleute merklich ab, so dass Jean Paul sogar an die Scheidung dachte. Sie beklagte sich über seine Erziehungsmethoden und seine Abwesenheiten, ihn störte ihr hausfraulicher Ordnungssinn. Aber, so Jean Paul: »Iß ordentlich und trinke Bier, damit du blühest.« in den 12 Punkten, die er ihr auf Reisen hinterließ.

 

»Die eheliche Liebe erhält sich unter der Schneedecke der ehelichen Zänke ganz warm.«

 

Karoline sollte ihn um 35 Jahre überleben. Sie blieb bis 1850 in der alten Woh­nung in Bayreuth und starb mit 83 Jahren im Jahr 1860 in München, wo auch ihre verheirateten Töchter inzwischen lebten, nach dem der Sohn Max bereits 1821 mit 17 Jah­ren gestorben war. August Lewald (1816) erzählte: »Seine liebenswürdige, geistreiche Frau schätzte er sehr. ›Sie hat mehr Verstand als ich‹, sagte er mir einmal.«

Was die Kinder erlebten …

 

»Er hatte allerlei Tiere, die er zähmte; einmal Mäuse; dann eine große Kreuzspinne, die er in einen pappenen Schachteldeckel sperrte, über den er ein Fensterglas geklebt. Unten hatte er ein Türchen von Papier gemacht, durch das er sorgfältig Futterfliegen hineinließ. Im Herbst sammelte er für seine Laubfrösche und für die Spinne Winternahrung. Gering hat er gar nichts geachtet.

 

Wie er von jedem Menschen, er mochte noch so unbedeutend scheinen, zu lernen wußte, so ließ er auch kein Bindfadenendchen, Glasstückchen, keinen ab­ge­broche­nen Korkstöpsel usw. liegen. Was er der Art fand, trug er in seine ›Lumpenschachtel‹. ›Ich bin doch neugierig, wozu ich das gebrauchen werde‹, sagte er, wenn er wieder etwas Weggeworfnes fand. Schmerzlich war ihm der Gedanke des bloßen Unter­gangs, am meisten, wenn’s Menschenarbeit war. Er verbrannte keinen Brief, ja die unbedeutendsten Zettel hob er auf.

 

So hat er sogar dicke Bücher mit den Einfällen, Redensarten und Gewohnheiten von uns Kindern vollgeschrieben. Den Kindern war jeder Scherz gegen ihn erlaubt; oft baten wir: ›Vater tanz einmal‹, dann machte er einige Sprünge. Oder er mußte französisch reden, wobei er besondern Wert auf die Nasenlaute legte, die niemand so gut ausspräche als er; es klang kurios. In der Dämmerstunde erzählte er uns früher Märchen oder sprach von Gott, von der Welt, dem Großvater und vielen herrlichen Dingen.«

Aus den Erinnerungen der Tochter Emma

… und was die Besucher sahen

 

»Gegen Abend traf ich ihn bei guter Laune in einem ziemlich eleganten Hause, umgeben mit Frau (einer echten Berlinerin) und zwei ungezogenen artigen Mädchen; sein abgenutzter Überrock war ehedem blau und sonst, wie auch das Hemd auf der Brust, nicht eben rein zu nennen, seine Rockschlippen unter dem Kragen waren Nadelkisschen, denn wohl sechzig Nadeln konnte man hier eingesteckt zählen, wahrscheinlich zum Festheften der Papierstücke.«

Ferdinand Grimm – 1815 in einem Brief an Jakob und Wilhelm Grimm

 

 

»Das Arbeitszimmer ist klein und so vollgekramt, daß nur ein Gang in der Mitte bleibt, wo zwei Menschen gehen können. An der Wand links zwischen Ofen und Tür steht ein Bücherschrank, in dem die Bücher durch- und aufeinander liegen, als seien sie in Jahren nicht in der Hand eines Lesers gewesen. Am Fenster, der Tür gegenüber, ist ein großer Tisch, der mit Papieren und Büchern und Weingläsern bekramt ist. Am Tisch steht ein Kanapee statt eines Stuhles, so sonderbar gestellt, daß man nicht anders hinzukann, als wenn man über den Tisch wegsteigt, denn dicht an der einen Seite des Tisches lehnt sich ein zweiter Bücherschrank, worin eine große Menge Exzerpte liegen und mehrere Bücher [...]

Nun denke man sich das kleine Zimmer kaum zehn Schritte lang, worin wir uns wie die Kreisel herumdrehten.«

Aus dem Reisetagebuch des kurländischen Arztes Karl Bursy (1816)

 

 

»Jean Paul hat sich itzt einen trefflichen Flügel von Dresden kommen lassen, dies wird ihn zum großen Kompositeur noch machen, letzt phantasierte er über 1 1⁄2 Stunde, daß mir Hören und Sehen geradezu verging.«

Henriette von Knebel (1818)

Endlich ein eigener Garten!

Das Schönste aber, das Jean Paul mit dieser Wohnung zuteil wurde, war ein eigener Garten. Dieser war, und wird heute immer noch, zur Straße hin von einem schmiedeeisernen Zaun geschützt. Hier­zu erzählt Philipp Hausser vorab eine lustige Geschichte: … Und an dieser Brüstung, so erzählt man, sei Jean Paul eines Abends schon bei Dunkelheit gestanden, von der Harmonie oder sonstwoher, des guten Bieres voll heimkehrend, nicht willens, seine Not noch zwei Treppen hinaufzutragen. Da sei ein Bayreuther Bürger vorbeigekommen, der die dunkle Gestalt nicht erkannte, und nur das Plätschern vernahm, und habe entrüstet ausgerufen: Pfui! Ausgerechnet am Hause Jean Pauls … . …

 

Und über die Liebe Jean Pauls zu diesem Garten ist Philipp Hausser sehr gerührt: … Und im Goethe-Schiller-Archiv in Weimar befindet sich Jean Pauls Brief vom 13. Mai 1822 an seine Frau mit einer so reizvollen Stelle, daß ich mir eine Photokopie davon besorgt habe: »Aber im Ganzen fehlt mir doch manche Traum-Erfüllung und ein Schwabachers Garten u. meine Seele ermattet unter der Menge durch die Fernen. – –«

Man wird mir nachsehen, daß mir diese Briefstelle immer wieder besondere Freunde macht und mir den Schweiß versüßt, den ich heute in diesem Garten Sommer für Sommer vergieße. …

 

Und weiter hinten schreibt Hausser: … In der »Festgabe«, einer Broschüre, die zu Jean Pauls 100. Geburtstag 1863 er­schienen ist, kann man über den Garten lesen: »Ein an das Haus angrenzender Garten mit einer künstlichen Laube bot dem Dichter Gelegenheit, sich von Zeit zu Zeit von seinen anstrengenden Studien zu erholen. In solchen Erholungsstunden versammelte dann Jean Paul seine Familie in der schattigen Laube um sich und erzählte; oder er sprang mit den Kindern oft sogar auf allen vieren im Garten herum, sich zu allerlei mutwilligen Scherzen gebrauchen lassend und mitspielend, als ob er selbst noch ein Kind wäre. Im Hause selbst erinnert heute nichts mehr an Jean Paul. Die Zimmer, die derselbe bei Lebzeiten bewohnte, sind gegenwärtig anderweitig vermietet und nur die Laube, der Lieblingsplatz Jean Pauls, im anstoßenden Garten ist noch in dem­selben Zustand wie früher …«  …

 

Weiter heißt es auf der Stationstafel 123:

Ein eigener Hausgarten

 

Als besonders vorteilhaft empfand Jean Paul die Tatsache, dass das neue Haus einen Garten besaß, den er vom Arbeitszimmer aus sah und den er benutzen durfte. Niemals zuvor war er Mieter in einem Gebäude gewesen, zu dem ein Garten gehörte. Schwabachers Garten gab ihm seinen letzten Jahren das Gefühl, auch innerhalb der Mauern einer Stadt die Natur genießen zu können, die er nicht nur als Naturliebhaber, auch als Schriftsteller benötigte.

 

So arbeitete oder saß er oft in seiner Cornelikirschenlaube (von der sich Insekten fernhalten), während in den Bäumen Äolsharfen hingen, durch die der Wind fuhr und »romantische« Klänge verursachte, die den Dichter inspirierten. Der alte Pumpbrunnen mit seinem Steintrog hier an der Mauer diente ihm als Hundebad und die Kinder genossen den Garten auch. Der Garten, schrieb er, sei »besser für meine Lunge und meinen Kopf als jede Arznei.«

 

Vielleicht ist dies alles der Grund, wieso Jean Paul 12 Jahre lang hier lebte – länger als in jeder anderen seiner Bayreuther Wohnungen – und auch hier starb.

Haus- und Gartenplan des Schwabacher-Hauses – aus »Geschichte eines Hauses« von Philipp Hausser
Haus- und Gartenplan des Schwabacher-Hauses – aus »Geschichte eines Hauses« von Philipp Hausser

Anhand der Fotos, die wir im Garten machen dürfen, ahnt man eine Ähn­lichkeit zu Haussers Gartenbeschreibung und freut sich mit dem Gedanken: da ist ja fast noch alles wie früher!

Auch wenn es nur trübe Herbstbilder sind, die wir heute einsammeln kön­nen, so spürt man doch den ganzen Charme eines so geliebten Gartens, durch den man wandeln kann, wie durch einen Park, über steinerne Stufen von Ebene zu Ebene steigen, man könnte sich gegenseitig zuwinken, von hier nach dort, wie schön.

Hier also lebte Jean Paul bis zu seinem Tod am 14. November 1825

1815, zehn Jahre vor seinem Tod, übernahm der bayerische Staat Jean Pauls jährliche Pensionszahlung. 1816 heiratet sein Freund Emanuel, der bislang ewige Junggeselle, Flora Benda aus München, und Jean Paul lernt Heinrich Voß d. J. (zweiter Sohn des Homer-Übersetzers Heinrich Voß) kennen, zunächst nur brieflich. Die beiden werden innigliche Freunde. Im selben Jahr noch stirbt Jean Pauls verarmter und »umherirrender« Bruder Adam. Jean Paul begräbt ihn im nahegelegenen Meyernberg. 1817 wird Jean Paul in Heidelberg auf Initiative von Heinrich Voß die Ehrendoktorwürde der Universität Heidelberg verliehen. … Jean Paul wird gefeiert wie niemals zuvor. …

Philipp Hausser

 

Hegel selbst überreicht dem Dichter die Ehrenurkunde. Es wird mit Stu­den­ten eine Lustfahrt auf dem Neckar organisiert. Unter ihnen ist auch der schwe­dische Kronprinz. Abends veranstaltet man einen Fackelzug.

 

1818 besteht sein Sohn Max das Gymnasialexamen mit einer Schulprämie. Dafür wird dem früheren »Zwergpackträger« (so nannte Jean Paul seine Kinder, wenn sie kleine Briefchen über die Straße zu Emanuel brachten) erlaubt, in der Kutsche Briefe und Zeitungen nach Emanuels Gut in Weiher, das bei Holl­feld liegt, zu bringen. Zu Jean Pauls Leid verbrachte sein Freund Emanuel oft den ganzen Sommer auf seinem neuerworbenen Landsitz. 

 

Im Jahr 1820 wird Jean Paul Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie. 

 

1821 wird sein Sohn Max sterben und 1822 schlimmerweise auch noch sein Freund Heinrich Voß. Jean Paul wird viele Reisen unternehmen, nach Mannheim, Mainz, Wiesbaden, Worms, Stuttgart, München, Frankfurt, Nürnberg, Erlangen, Dresden und 1819 nach Löbichau auf Einladung von Herzogin Dorothea von Kurland, um dort ihrem legendären literarischen Salon beizuwohnen.

Jean Paul besaß nie Grund und Haus, zeit seines Lebens blieb er Mieter

Er wird sich mit seiner Frau Karoline immer wieder streiten. Immer wieder geht es eigentlich nur um verletzte Gefühle, um Ordnung und Sauberkeit, Kindererziehung und andere Alltäglichkeiten. Beide leiden. In Heidelberg wird sich Jean Paul noch in eine sehr junge gewisse Sophie Paulus verlieben. Es kommt zu Küssen. Darüber wird er einen Aufsatz schreiben »Über das Immergrün unserer Gefühle«, der zur Lieblingslektüre des Biedermeier wird.

 

Dann kehrt Jean Paul für immer zu seiner Familie zurück. Er weiß, was sein Zuhause, seine Schreibstube, sein Garten, die gemeinsamen Mahlzeiten, seine Familie und die Treue zu ihr wert sind. An Karoline schreibt er voller Sehnsucht: … »An meinem Herzen waren viele; in ihm warst, und bleibst nur Du, – und so traue mir denn durch die kleine Zeit meines Lebens gar hindurch.« …

Oder … »… alle Zimmer lachen, sogar die Küche. Seit Jahren war ich nicht mehr so häuslich seelig.« …

Oder … … »Ach wahrlich, wir sollten diese Freuden eines noch unzerbrochenen Kreises höher halten und genießen. Wie lange währt es, so zieht Max fort! Allmählich ziehen ihm die andern nach und dann sitzen wir beide allein da und zuletzt Du ganz allein! Ach laßt uns lieben, so lange noch Zeit zu lieben ist …« …

Philipp Hausser

Jahre später

Nach Jean Pauls Tod 1825 wohnte Karoline noch weitere 25 Jahre in der dann verkleinerten Wohnung im Schwabacher-Haus. 1850 zog sie zu ihren Töchtern Emma und Odilie nach München. Beide hatten geheiratet und Kinder be­kom­men. Karoline starb dort 1860.

Wie erging es der Familie Hausser, den Nachfahren Schwabachers?

Philipp Hausser wurde 1918 geboren. Als Kind spielte er oft mit seiner Schwester im großen Garten des Hauses, in dem Jean Paul so gerne war. Dabei geschah es immer wieder, dass neugierige Fremde – wohl Jean-Paul-Verehrer – durch den Hof eindrangen, um zu sehen, wo der Dichter geschrieben haben möge, … die Laube stand im Baedeker! ….

Da übernahm der noch junge Philipp gerne die Rolle des Fremdenführers. … Auch ich hatte damals schon als kleiner Junge meine ersten Begegnungen mit prominenten Jean Paul-Freunden. Es war für mich selbstverständlich, daß ich, wenn ich im Garten von Fremden beim Spielen überrascht wurde, den Cicerone (Fremdenführer) spielte. Später lernte ich auf diese Weise den Verleger Reinhard Piper, den dänischen Komponisten Paul von Klenau und viele andere näher kennen. …

Philipp Hausser »Die Geschichte eines Hauses«

 

Darunter war auch der sich im Exil befindliche König Georg II. von Griechenland. Weiter schreibt Hausser: … In den Zwanzigerjahren verlebte ich in dem Garten eine herrliche Zeit. Meine Großeltern nahmen die Mahlzeiten während der warmen Monate fast bei jedem Wetter in dem großen offenen Gartenhaus ein, das später die Bomben wegfegten. Wer könnte das Gleißen der Tautropfen an einem sonnigen Sonntagmorgen vergessen, den Glanz, der über dem neuerwachten Garten lag, wenn dazu noch die Glocken der Stadtkirche herüberklangen, bei mancher Luftbewegung so machtvoll, dass man die Töne auf der Haut zu spüren vermeinte. Oder den betäubenden Duft des sonnendurchglühten Gartens um die Mittagszeit! Und gar das Verwehen des Tages, das Abschiednehmen der Amsel auf dem Giebel, die geheimnisvollen Fledermäuse in der Dämmerung und die letzten Stunden des Aufatmens nach der Hitze, beim Licht zweier Kerzen, von Dunkelheit umgeben. So war es später nie wieder. […]

Es kam das Jahr 1933 und mit ihm der erste schwache Blutdunst. Anfangs nur für Spürnasen wahrnehmbar, doch bald immer dichter zog das apokalyptische Grauen über Deutschland. […]

Mein Großvater zog sich ganz zurück, legte alle Ehrenämter nieder, auch das in der Jean-Paul-Gesellschaft, die er mitbegründet hatte. Den Briefwechsel hierüber mit den Zeichen letzten bürgerlichen Anstands auf der »arischen«, der Gegenseite, besitze ich noch. Außer zahllosen Kränkungen, wie sie eben als Minimum üblich waren, geschah meinem Großvater aber nichts. Da schützte ihn ein Achtungsrest der alten Bayreuther vor der Familie und seine »arische« Frau, durch die er auch vor dem gelben Ehrenstern bewahrt blieb. […]

1941, als er kein Ende des Regimes mehr absehen konnte, nahm er sich im 75. Jahre das Leben, um, wie er hinterließ, »der Familie nicht weiter im Wege zu stehen«. …

 

Viele Anverwandte der Familie wurden in Konzentrationslagern ermordet.

 

Das Haus wurde im Krieg an der Gartenseite schwer beschädigt, das Dach abgedeckt. Philipp Hausser baut alles wieder in mühseliger Kleinarbeit auf, auch seine Kinder werden in »Jean Pauls Garten« spielen und dieser immer noch Jean-Paul-Freunde anziehen – bis heute.

 

Ganze Generationen der Schwabachers und Haussers waren also getreue Freunde Jean Pauls.

 

Es sind zwei Menschen, die aus Zuneigung zu Jean Paul ganze Museen für ihn erschufen. Das sind Eberhard Schmidt mit seinem Jean-Paul-Museum in Joditz und Philipp Hausser mit seiner Sammlung für das Jean-Paul-Museum in Bayreuth.

Nachruf Philipp Hauser

Zusammenfassung

… Am 30. September 2003 verstarb im 85. Lebensjahr unser Ehrenmitglied Dr. Philipp Hausser, Bayreuth. Als Nachkomme von Jean Pauls Vermieter, dem Bayreuther Bankier Schwabacher, und Eigentümer von Jean Pauls Sterbehaus in der Bayreuther Friedrichstrasse 5 interessierte sich Hausser von Jugend an für Jean Paul und trug über die Jahre die wertvollste und umfangreichste Privatsammlung zu Jean Paul zusammen. 1979 überließ er diese als Dauer-Leihgabe der Stadt Bayreuth und schuf damit die Grundlage für das Bayreuther Jean-Paul-Museum, das am 23. Juli 1980 in den Räumen des ehemaligen Chamberlain-Hauses in der Wahnfriedstrasse 1 eröffnet wurde. …

 

Autor: Sven Friedrich

H. Pfotenhauer (Hrsg.), Jahrbuch der Jean-Paul-Gesellschaft © Springer-Verlag GmbH Deutschland 2004

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Kommentare: 1
  • #1

    Andreas Petzold (Mittwoch, 21 Juli 2021 07:57)

    Herzlichen Dank möchte ich hier an Herrn Dr. Hausser richten,der bis 2021 das Andenken von Jean Paul in seiner Wohnung erhalten hat und viele Gegenstände und Möbel gepflegt hatte. Sein Herz hing, wie ich immer wieder sehen durfte an all diesen Dingen. Ich selbst durfte Möbel pflegen und bewundern. Ich wünsche Herrn Dr. Hausser noch eine gute Zeit im Kreise seiner Familie nun in Nürnberg.