Bayreuth – Hofgarten – Jean-Paul-Platz
Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern
Weitere Informationen über Jean Paul und Bayreuth: Literaturportal Bayern – Dichterwege. Auf den Spuren von Jean Paul
Siehe auch: Historische Innenstadt von Bayreuth
Jean Paul und der Hofgarten
Der Weg führt uns nun in und durch den markgräflichen Hofgarten, der seit 1790 für jedermann zugänglich ist. Aber schon immer war er, mitten in der Stadt gelegen, die von allen geliebte »grüne Lunge« von Bayreuth. Eigentlich ist er klein, aber sein Hauptweg entlang des Zierkanals überrascht mit einem Höhepunkt nach dem anderen: der Schwaneninsel mit Figurengruppe, Thetis und Tritonen, dem Sonnentempel der Königin Luise, der Großen Insel mit Wasserross und Poseidon. Und hier und da ein Brückchen. Auf dem Parkplatz am Geißmarkt – Ecke Jean-Paul-Straße erzählt uns Groß- und Sonderstation 120 von der Verbundenheit Jean Pauls zu allem, was ihn umgab.
Jean Paul und der Hofgarten
Eine Begegnung im Hofgarten
Jean Paul kam einmal auf seinem Weg, der ihn zur Rollwenzelei führte, im Hofgarten an einem weinenden Mädchen vorbei. In dieser Zeit gab es für Witwen weder eine Pension noch eine staatliche Fürsorge. So mussten die sechs Kinder der Witwe des Gymnasialprofessors Menzel mithelfen. Die Witwe selbst fristete als schlecht bezahlte Porzellanmalerin ihr Leben. Luise, die Kleinste, musste im Hofgarten beinahe täglich Socken und Strümpfe stricken. Da sie nicht mit den anderen Kindern spielen konnte und ihre kleinen Finger schmerzten, begann sie zu weinen.
»Luisle, das bist ja du! Warum weinst du denn so sehr?«, fragte Jean Paul.
Luise, die sich schämte, den wahren Grund anzugeben, schluchzte:
»Der Strumpf ist schwer.«
Der Dichter lachte:
»So, der Strumpf ist so schwer. Ich muß ihn aber noch schwerer machen.«
Er band den Strumpf mit einer Schnur unten zu und ließ etwas Hartes hineinfallen, wickelte das Gestrick fest zu und sagte:
»So, jetzt kannst du nicht weiterstricken. Ich hab selbst gesehen, daß der Strumpf zu schwer ist. Geh zu deiner Mutter und sag ihr einen schönen Gruß!«
Zuhause fand die Mutter einen blanken Krontaler in den Strumpf hineingewickelt.
»Gott sei Dank, für ein paar Tage war der Not wieder gesteuert, dank dem guten Dichter.«
Nach den Erinnerungen des Weidener und Weißenstädter Pfarrers Moritz Menzel (1805‒1883)
»Oft haben wir ihn gesehen, wie er morgens auszog, um über den Gymnasiumsplatz durch den Hofgarten zur Rollwenzelei zu gehen, den ledernen Sack mit allem Bedarf um die Schultern gehängt, eine Rose als Repräsentantin der Blumenwelt an der Brust, den unbedingt ergebenen Freund, den treuen Pudel, als Begleiter an seiner Seite.«
Johann Christoph von Held (1791‒1873), Rektor des Bayreuther Gymnasiums
Kleine Geschichte des Hofgartens
Bereits 1580 befand sich hier unter Markgraf Georg Friedrich ein Nutzgarten, der einige Jahre später in einen »Lustgarten« umgewandelt wurde. Ab 1670 wird der anfänglich kleine Nutzgarten ständig erweitert und reicher ausgestattet und erhält schließlich sogar ein Ballhaus.
Damals legte man im hochbarocken Garten die Hauptallee an, die bis heute das Rückgrat des Gartens bestimmt. Hier wurde 1679 in der Mittelachse eine Bahn für das »Baille-Maille-Spiel« angelegt, einem Vorläufer des Crocket.
Als 1754 das Neue Schloss gebaut wurde, legte man eine neue dominierende Achse an, die durch den Kanal und einige Inseln akzentuiert wird. Die große Gruppe des »Triumphzugs Neptuns und der Amphitrite« sollte das Zentrum des Kanals bilden, doch blieb sie nach dem Tode Markgraf Friedrichs unvollendet und wurde zerstört. Südlich des Kanals wurden Alleen, Heckenquartiere, Laubengänge und Parterres angelegt.
Die dritte Achse geht vom Badetrakt aus.
Die Umwandlung des Hofgartens in einen »Englischen Garten« konnte daher seit 1789 mit den bereits bestehenden, nicht mehr rein barocken Strukturen arbeiten, denn der Kanal endete nicht am Horizont, sondern machte einen Knick, so dass sein Ende vom Ausgangspunkt aus nicht erkennbar ist – eine Idee, wie sie seit ca. 1730 in Großbritannien auftaucht.
Markgräfin Wilhelmine hatte auch einen »Indianischen« oder »Mohrengarten« in diesem neuen Gartenstil anlegen lassen, der weiterentwickelt schließlich in der Jean-Paul-Zeit zur Norm wurde. Die Grundzüge des markgräflichen, nach französischen Mustern angelegten geometrischen Gartens mit seinen drei Alleen sind dennoch bis heute erkennbar.
1805 erbaute man schließlich ein Tempelchen zu Ehren des Königs Friedrich Wilhelm III., das man aber nach der Königin Luise benannte, die den Dichter Jean Paul sehr verehrte, und die mit ihrem Gemahl Mitte Juni 1805 in einem Hofgartenfest gefeiert wurde.
Jean Paul und die Bayreuther Gärten
Neben dem guten Bayreuther Bier und den engen Freunden Emanuel Osmund und Christian Otto gab es eine weitere wichtige Motivation für Jean Paul schließlich nach Bayreuth zu ziehen: die reiche Garten- und Parklandschaft.
Jean Paul kannte sie bereits seit den 90er Jahren des 18. Jahrhunderts, als er Bayreuth erstmals besuchte. Bayreuth war die ehemalige Residenzstadt des nördlichen Teils des Fürstentums Ansbach-Bayreuth, die auf den Natur- und Rousseauliebhaber Jean Paul einen großen Eindruck machte – und dies auch, weil er aus ärmsten dörflichen Verhältnissen kam.
So konnte Jean Paul sowohl große Schlossgärten besuchen – den Hofgarten, die Fantaisie, die Eremitage –, aber auch kleine, charmante Gartenwirtschaften wie die der Harmonie und der Rollwenzelei. Befreundete Familien stellten ihm ihre Privatgärten zur Verfügung, als Orte der Muße und der Arbeit: Miedels Park in der Dürschnitz, das Hagengut in Moritzhöfen.
Etwas weiter entfernt liegt der immerhin einige Male besuchte Felsengarten von Sanspareil. Der wichtigste Garten aber war der, in den er seit 1813 täglich gehen konnte: Schwabachers Garten.
Schon immer hatte er sich einen eigenen Garten gewünscht – nun hatte er ihn direkt an seiner eigenen Wohnung in der Friedrichstraße 5.
Die Gartenleidenschaft fand ihren Niederschlag auch in Jean Pauls Werken. Berühmt wurden besonders die Szenen des Siebenkäs, die in der Eremitage und dem Park der Fantaisie spielen. Auch die romantischen Parkbeschreibungen im Titan zeugen von Jean Pauls lebenslanger Liebe zum kultivierten Grün.
Das Jean-Paul-Denkmal auf dem Jean-Paul-Platz
Nun, nur noch ein paar Schritte, so gelangt man zum Jean-Paul-Platz und auf die Friedrichstraße, die schon als Jean-Paul-Meile bezeichnet wurde. So viel »Jean Paul« gibt es hier. Sie war und ist fürwahr eine kleine Prachtstraße, sie ist breit und weit, und mit stattlichen, einheitlichen, barocken Sandsteinhäusern bebaut. Die Straße kann sich sehen lassen. Jean Paul steht ihr gut.
Doch zunächst einmal zum Jean-Paul-Platz mit überlebensgroßer Jean-Paul-Statue.
Auf diesem schönen Platz, nahe bei Jean Paul, steht auch die Groß- und Sonderstation 121.
Jean Paul und sein Denkmal
Kleine Denkmalkunde
Jean Paul war nicht nur ein Liebling der preußischen Königin Luise, sondern auch der bayerischen Könige. Max Joseph I. übernahm ab 1815 die Pension des Dichters, die ihm vorher vom Fürstprimas von Dalberg gezahlt wurde.
Am 14. November 1841, also am 16. Todestag des Dichters, wurde im Auftrag seines Sohnes König Ludwig I., der zugleich Herzog von Franken war, das in München gegossene Denkmal in Anwesenheit zweier Enkel des Dichters eingeweiht.
Es wurde von einem der berühmtesten Bildhauer seiner Zeit entworfen: Ludwig Schwanthaler (1802‒1848). Wir verdanken ihm auch die Entwürfe zur Bavaria auf der Münchner Theresienwiese, das Mozart-Denkmal in Salzburg, die Siegesgöttinnen der Befreiungshalle in Kehlheim, das Goethe-Denkmal in Frankfurt und die Jean-Paul-Büste in Wunsiedel aus dem Jahr 1845.
Jean Pauls Verwandte und Freunde sahen die Statue des Mannes, den sie gekannt hatten, mit Skepsis. Der Kardinalfreund Emanuel Osmund, der in der Friedrichstraße wohnte, war der Feierlichkeit fern geblieben und an diesem Tage fortgereist: »Von den Festlichkeiten bei Enthüllung eines Denkmals meines, ja meines einzigen Richters hab’ ich nichts sehen wollen und wirklich auch nichts gesehen.«
Die Witwe Karoline Richter aber war von dem »Eindruck ergriffen«, den das Monument auf sie machte: »Sehr großartig ist das Ganze. Die Stellung ist durchaus natürlich und kein fremdartiger Ausdruck in der ganzen hohen Gestalt. Nur die Gesichtszüge schienen nicht vollkommen ähnlich – doch wie selten ist vollkommene Ähnlichkeit auch bei den besten Malern zu erreichen!«
1933 versuchte die Jean-Paul-Gesellschaft, eine Büste des Dichters in die Walhalla zu bringen. Zu diesem Zweck trat die engere Vorstandschaft in die NSDAP ein – aber erst 1973 fand Jean Paul seinen Platz in der Ruhmeshalle an der Donau (die Büste fertigte der Würzburger Bildhauer Otto Sonnleitner).
1934 wurde das Denkmal auf die linke Platzmitte verschoben, weil das NS-Regime hier einen Aufmarschplatz schaffen wollte.
Erst 1991 wurde es wieder an seinen ursprünglichen Ort zurücktransportiert.
Es mag dahin gestellt sein, ob das der wirkliche Grund war, in die NSDAP einzutreten. Immerhin hat die Jean-Paul-Gesellschaft sein Mitglied Eduard Berend, bedeutendster Jean-Paul-Forscher und jüdischen Glaubens, von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ich habe bereits an früherer Stelle darüber geschrieben. Nach der Neugründung der Gesellschaft 1950 wurde Eduard Berend zur Wiedergutmachung zum Ehrenmitglied ernannt. Mehr unter Literatur Portal Bayern.de
Jean Paul und die Bayreuther
Jean Paul hatte ein gespaltenes Verhältnis zu Bayreuth. Sinngemäß hatte er einmal erwähnt, dass Bayreuth ja schön wäre, wenn nur die Bayreuther nicht wären. Hierüber erfährt man weiter auf der Stationstafel.
Baireut als Ideal ...
Du liebes Baireut, auf einem so schön gearbeiteten, so grün angestrichenen Präsentierteller von Gegend einem dargeboten, man sollte sich einbohren in dich, um nimmer heraus zu können.
O du geliebtes Baireut, in das ich wie in einen Himmel fuhr und in dem ich jede Minute verschlang, aus Furcht, sie fliege ungenossen vorüber – besuche mich in meinen Hofer Träumen und spiegle dich in ihnen mit deinen Gegenden und Einwohnern ab wie der Himmel im klaren Bach.
Hier ist’s auch anders als in Hof, wo man jedem das Buch schenken muß, damit er’s liest.
Baireut find ich eigentlich außer Baireut, nämlich in dem Zaubergürtel seiner Gegend.
Baireut gab mir Glauben, Hoffnungen, Morgen voll Nebel und Entzückungen.
... Baireut bei schlechter Laune
Dein [Freund Otto’s] und Emanuels Leben könnten meines nach Bayreuth locken, wüchse nur nicht da auf allen Gassen literarisches Gras und in den Häusern das Vieh dazu.
Ich bin Büchermacher – und wohne in Baireut.
Die Gegend und das Bier und die Wohlfeile ziehen, so sehr das enge Volk abstößet.
Die Peitsche wird immer länger, die mich aus Baireut forttreibt.
Baireut engt sich immer mehr zusammen, um mich heraus zu pressen.
Die Baireuter müssen erst 50 Meilen weiter erfahren, daß ich in Baireut wohne.
Sogar in Baireut bin ich durch mich bekannt geworden.
Wenn er nicht zufällig in Baireut wäre, wüßte er gar nicht, daß es eines gebe, und wo es liegt, weiß er immer noch nicht.
Bayreuth im Werk Jean Pauls
1780 betrat der siebzehnjährige Jean Paul zum ersten Mal die Stadt Bayreuth. Er verliebte sich in die Stadt und die Umgebung. Immer wieder besuchte er die Verwandten seiner Hofer Freundin Renate Wirth – und traf hier 1793 seinen besten Freund: Emanuel Osmund.
Schon in Jean Pauls frühen Werken (etwa dem Roman »Titan«), besonders aber in seinen Briefen, wird die Stadt stark idealisiert. Nachdem Jean Paul mit seiner Familie 1804 hier zugezogen war, kühlte sich das Bayreuth-Bild ab.
Berge, Bier und Bücher – diese drei Dinge hatten ihn, bekannte Jean Paul einmal selbst, nach Bayreuth gezogen, wo er 1825 starb.
Bayreuth-Erwähnungen (insbesondere auch Schilderungen der Eremitage und der Fantaisie) finden sich in seinem großen Roman »Siebenkäs«, an dem er noch in Bayreuth schrieb.
Auch im »Hesperus« finden sich Spuren.
Sein letzter Roman »Der Komet« spielt in einer Kleinstadt, die bayreuthische Züge aufweist.
Wird in der Geschichte zur Vorrede zur zweiten Auflage des »Leben des Quintus Fixlein« eine Reise von Hof »in das gelobte Land der sanften Bayreuther Ebene« geschildert, verläuft in den »Palingenesien« die Reiseroute des Helden von der Eremitage nach Nürnberg.
Wichtige Texte der Bayreuther Zeit sind der kleine Roman »Dr. Katzenbergers Badereise«, auch die politischen Schriften der Jahre um 1812/13, der Roman »Selina« sowie »Levana«, ein seinerzeit viel gelesenes und diskutiertes Werk, in dem er seine pädagogischen Ansichten zusammengefasst hat.
Ich lese die oben erwähnte »Geschichte zur Vorrede zur zweiten Auflage des Quintus Fixlein« … und kann nicht mehr aufhören …
Jean Paul schildert wieder einmal aufs Köstlichste, wie er sich auf einer Reise vornimmt, eine Vorrede zu verfassen, ähnlich der zuvor erwähnten Vorrede, genannt »Vorredner«, zu seinem ersten Roman »Die unsichtbare Loge«. Ich schrieb darüber in der 19. Etappe. Nun ist Jean Paul quasi selbst als sein Protagonist Quintus Fixlein auf dem Weg von Hof nach Bayreuth: … Hingegen zur Zeugung einer Vorrede zur zweiten Auflage hab’ ich nie mehr nötig erachtet als eine Fußreise von Hof nach Baireuth, einen Katzensprung über drei Poststationen. Ich such’ aber etwas darin, wenn ich das Erstaunen der Nachwelt und ihrer Vorfahren dadurch erregen kann, daß ich beide auf die baireuthische Kunststraße mitnehme, auf der ich hinlaufe – im Webstuhl der Vorrede eingesperrt und mit dem Weberschiffchen werfend –, ohne doch etwas Rechtes herauszubringen. Ich trug nämlich die offne Schreibtafel vor mir her, um die Vorrede, wie sie mir Satz für Satz entfiel, darin aufzufangen; aber wenige Autoren wurden noch so in ihren Vorreden gestört. Ich will es ausführlich erzählen.
Der moralische Gang des Menschen gleicht seinem physischen, der nichts ist als ein fortgesetzter Fall.
Schon der Höfer Schlagbaum, unter dem man den Chausseezoll erlegt und der hinter dem Vis-à-vis einer Dame niedersank, die ihn abgetragen, fiel hart wie ein Stoßvogel und Eierbrecher auf den Kopf des Vorberichts: denn ich wollte der Dame durchaus vorlaufen, um ihr ins Gesicht zu sehen; …
Was ihm zunächst noch nicht gelang, denn es kam ihm etwas dazwischen. Nämlich …
Die essigsaure Begegnung mit Kunstrat Fraischdörfer aus Haarhaar
Fixlein alias Jean Paul sinniert noch über Frauen und alles Mögliche, bis er unweit von Münchberg, auf einen Mitwanderer, den Herrn Kunstrat Fraischdörfer aus Haarhaar, stößt. Jean Pauls Bemerkung zu »Haarhaar«: … So heißet bekanntlich das Fürstentum, in welchem die Geschichte, die ich nun bald unter dem Namen Titan editiere, vorfällt. Daher kenn' ich den Kunstrat Fraischdörfer recht gut, er aber mich gar nicht. …
»Haarhaar« – klingt doch ein bisschen wie »Haha«. Bilde ich mir ein.
Ich nehme an, die beiden Herren sind zu Fuß und die Dame fährt mit der Kutsche – und Jean Paul erzählt weiter: … Mein Gesicht hingegen war ihm ein unbekanntes inneres Afrika. Ein Mann muß sich wenig in der literarischen Weltgeschichte umgesehen haben, dem man es erst zu sagen braucht, daß der Kunstrat sowohl in der neuen allgemeinen deutschen bibliothekarischen als in der haarhaarischen, scheerauischen und flachsenfingischen Rezensier-Faktorei mitarbeite als einer der besten Handlungdiener. Wie man einen Kürbis in einen Karpfenteich als Karpfenfutter einsetzt: so senkt er seinen nahrhaften Kopf in manches ausgehungerte Journalistikum ein als Bouillonkugel. Da nun der Kunstrat, dem ich doch nie etwas zuleide getan, schon an mehren Orten deutliche Winke fallen lassen, er wolle mich in kurzem rezensieren: so war mir fatal zumute; denn es gibt zwischen nichts eine größere Ähnlichkeit und Antipathie zugleich als zwischen einem Rezensenten und Autor, wiewohl derselbe Fall auch beim Wolf und Hunde ist. Ich münzte daher meinen Namen als mein eigner Falschmünzer um und sagte mich als einen ganz andern Menschen an: »Sie sehen hier«, sagt’ ich zum Kunstrat, »den bekannten Egidius Zebedäus Fixlein vor sich, von dessen Leben mein Herr Gevatter Jean Paul der Welt eine zweite Auflage zu schenken gesonnen – wiewohl ich täglich noch fortlebe und mithin immer neues Leben, das man beschreiben kann, nachschieße.« – Die Seele des Kunstrates war jetzt nicht wie die nachgestochene im orbis pictus aus Punkten zusammengesetzt, sondern aus Ausrufungzeichen; andere Seelen bestehen aus Parenthesen, aus Gänsefüßen, die meinige aus Gedankenstrichen. Er forschte mich, da er mich für den Quintus hielt, nun aus, ob mein Charakter und mein Haushalten zu dem gedruckten paßten. Ich teilte ihm viele neue Züge von Fixlein mit, die aber in der zweiten Auflage stehen, weil er mir sonst öffentlich vorwirft, ich hätte mein Original mager porträtiert. …
Es kommt, wie es kommen muss
Sie unterhalten sich über Kunst und Kunstkritik, über das, was Autoren alles recherchieren, sammeln und dann doch weglassen, dass das Weggelassene oft viel mehr als das Dagelassene ist, und der Kritiker von all dem nichts weiß, dass Figuren mal vollkommen, mal unvollkommen sind, je nach dem, welchen Geschlechts die Leserschaft sein soll und so fort. Fixlein, so glaube ich, textet Fraischdörfer zu und platt, während der Kunstrat nur abfällige Spitzen entgegensetzt. Auf der Wegstrecke säuert Kunstrat Fraischdörfer … allmählich aus Bieressig zu Weinessig …
Nahe der Stadt Gefrees gibt es ein Gasthaus, genannt »Die drei Bratwürste«. Hier will der Kunstrat Ziegenmilch trinken und Fixlein merkt an: … Während der Milchkur wurden wir beide einander noch verhaßter, als wirs schon waren, und das eingeschluckte Krötenlaich unserer Antipathie wurde durch die gelinde Wärme der edeln Teile zu ordentlichen Kröten ausgebrütet. Ich wurde ihm gram, weil ich hier in den drei Bratwürsten stehen mußte und allem Anschein nach in Gefrees ankam, ohne irgend etwas Schönes gesehen oder geschrieben zu haben (ich rede von dem Vis-à-vis und der Vorrede), und überhaupt weil Fraischdörfer zugleich Mattgold, Katzengold und Platzgold war. Eine elendere Mixtur gibt es nicht. Zog er nicht sogar unter dem Käuen sich wie ein Dentist seine Schneidezähne aus, weil bloß die Hundzähne echt waren und genuin? Konnt’ ich nicht, als er den Rock aufknöpfte, deutlich sehen, daß der Bauch seiner Weste seiden und marmoriert, hingegen der Rücken derselben weiß und leinen war, als wär’ er ein Dachs, der, wie Buffon bemerkt, als Widerspiel aller Tiere lichtere Haare auf dem Rücken hat und die dunklern unter dem Bauch? – Und was seinen Zopf anlangt, so ist wohl gewiß, daß seiner nur an der Spitze eignes Haar aufzeigt und übrigens lang und falsch ist, meiner aber klein und echt, gerade als hätte uns die Natur und Linnäus wie zwei bekannte Tiere unterscheiden wollen. …
Es geht weiter hin und her, über die Wirkung von »Ähnlich-Sein«, »Nicht-Ähnlich-Sein« und »Ein-Wenig-Ähnlich-Sein«, über die Frage, ob der Inhalt die Form bestimme oder die Form den Inhalt, bis zwangsläufig zum Unterschied von platten und vollkommenen Kunstwerken. Ganz viel Theorie zwischen Fixlein und Fraischdörfer, man kann sichs ausmalen.
Dann erreichen sie Gefrees, und hier erkennt Jean Paul die Dame wieder, die er in Hof sah und nicht begrüßen konnte, weil Fraischdörfer ihm dazwischenkam. Jetzt flitzte sie ihm schon wieder davon. Jean Paul, jetzt Fixlein, ärgert sich über die Maßen, und es platzt, wohlgemerkt: innerlich, aus ihm heraus: … So aber hatt’ ich nichts. Ich fuhr entsetzlich auf in meinem Herzen und tat innerlich folgenden Ausfall gegen den Kunstrat: »Du elende frostige Lothssalzsäule! Du ausgehöhlter Hohlbohrer voller Herzen! Ausgeblasenes Lerchen-Ei, aus dem nie das Schicksal ein vollschlagendes, auffliegendes, freudentrunknes Herz ausbrüten kann! Sage, was du willst, denn ich schreibe, was ich will. – Du sollst weder meine Reißfeder noch mein Auge von dem Eisgebirge der Ewigkeit abwenden, an dem die Flammen der verhüllten Sonne spielen, noch vom Nebelstern der zweiten Welt, die so weit zurückliegt und nur die Parallaxe einer Sekunde hat, und von allem, was die fliegende Hitze des fliegenden Lebens mildert und was den in der Puppe zusammengekrümmten Flügel öffnet und was uns wärmt und trägt!«– …
Die beiden setzen dennoch zu Fuß die Reise fort, der Kunstrat theoretisiert gnadenlos weiter, Jean Paul läuft immer schneller, er will die Dame noch treffen, der Kunstrat hechelt hinterher, müde und hungrig. Dann bei Berneck treffen sie endlich auf jene Dame, die Jean Paul so neugierig machte:
Ach, Pauline!
… Der Kron-, der Elias- und der Sonnenwagen hielt vor der Post, und die Direktrice meines Wegs stieg heraus. Ich sprang an – wer hätt’ es gedacht (ich wohl am wenigsten), daß es nichts geringers war als eine Primadonna, die schon einmal in einer von meinen Vorreden (in der zum Siebenkäs) agierend aufgetreten war, nämlich die gute, die liebe, bekannte – Pauline, des sel. Hauptmanns und Kaufherrns Oehrmann nachgelassene Tochter.
Ich ward ordentlich ein Kind vor Freuden, wie alle Bernecker wissen. »Herr Jean Paul, wie kommen wir da zusammen?« sagte die Miß, deren Angesicht jetzt im Brautstand ein höheres Rot als im Laden hatte, gleichsam die rote Soldatenbinde des nahen Ehedienstes, die Band- und Vorsteckrose auf dem ehelichen Bande.
Fraischdörfer sott sich gleichfalls rot zu einem warmen Krebs: er hörte nun, ich sei wirklich der Autor selber, den er auf dem Straßendamm rezensiert hatte. Er sagte, es sei nur ein Glück für die Kunst, daß ich bloß in der Wirklichkeit, und in keinem Druck gelogen hätte, wo mehr daran gelegen wäre, den Charakter des wahrhaften Mannes durchzusetzen und zu halten. In drei Terzien war er weg wie Mai-Schnee. Er wird mirs aber gedenken und sich wenigstens in den Busch und Jägerschirm der allgemeinen deutschen Bibliothek stellen und daraus mit Windbüchsen nach seinem Reisegefährten schießen. Ich hielt es daher für nötig, dem Publikum schon vorher davon Nachricht zu geben: es ist nun auf jeden Pfeil seiner Armbrust (wie nach Montesquieu die Tatarn tun mußten) der Name geschrieben, der Schütze heißet Fraischdörfer. …
Die süße Pauline, das weiß Jean Paul, ist die Braut des Gerichtshalters Weyermann (auch aus dem »Siebenkäs«). Der Dichter diniert mit ihr in der Post, dann … Wir fuhren spät ab, und ich saß ihr im Vis-à-vis – vis-à-vis. Hinter unsern grünen Bergen lag die Wüste der Kinder Israel und vor uns das gelobte Land der sanften Baireuther Ebene. Ich und die Sonne sahen Paulinen immerfort ins Angesicht und mit gleicher Wärme, und mich rührte endlich die kleine stille Gestalt. Woher kam das? […] nicht davon bloß kam meine Rührung, daß sie nun, wie ihre meisten Schwestern, gleich weichen Beeren, von der harten Manneshand zugleich abgerissen und zerdrücket werde; – oder daß ihr weiblicher Frühling so viele Wolken und so wenige Tage und Blumen hatte und daß ich sie wie mehre Bräute mit dem schlafenden Kinde verglich, das Garofalo mit einem Engel, der eine Dornenkrone darüberhält, gemalet, auf das aber, wenn es die Ehe weckt, der Engel die Krone herunterdrückt: – Sondern das machte meine Seele weich, daß ich, sooft ich dieses freundliche rot- und weißblühende zufriedene Gesicht ansah, es gleichsam innerlich anreden mußte: »O sei nicht so fröhlich, armes Opfer! Du weißt nicht, daß dein schönes Herz etwas Besseres und Wärmeres braucht als Blut und dein Kopf höhere Träume, als die das Kopfkissen beschert – daß die duftenden Blumenblätter deiner Jugend sich nun zu geruchlosen Kelchblättern zusammenziehen, zum Honiggefäße für den Mann, der jetzt bald von dir weder ein weiches Herz noch einen lichten Kopf, sondern nur rohe Arbeitfinger, Läuferfüße, Schweißtropfen, wunde Arme und bloß eine ruhende paralytische Zunge fordern wird. Dieses ganze weite Sprachgewölbe des Ewigen, die blaue Rotunda des Universums verschrumpft zu deinem Wirtschaftgebäude, zur Speck- und Holzkammer und zum Spinnhaus, und an glücklichern Tagen zur Visitenstube – die Sonne wird für dich ein herunterhängender Ballonofen und Stubenheizer der Welt, und der Mond eine Schusters-Nachtkugel auf dem Lichthalter einer Wolke […] Du bist zu etwas Besserem geschaffen, aber du wirst es nicht werden (wofür dein armer Weyermann nichts kann, dem es der Staat selber nicht besser macht). Und so wird der Tod deine von den Jahren entblätterte Seele voll eingedorrter Knospen antreffen, und er erst wird sie unter einen günstigern Himmelstrich verpflanzen.«
– Warum sollte mich das nicht betrüben? Seh’ ichs nicht jede Woche, wie man Seelen opfert, sobald sie nur einen weiblichen Körper umhaben? Wenn dann nun die reichste beste Seele unter der Morgenröte des Lebens mit dem unerwiderten Herzen, mit versagten Wünschen, mit den ungesättigten verschmähten Anlagen eingesenket wird ins übermauerte Burgverlies der Ehe – …
»Aus den Lilienfluren des Mondes«
Jean Paul sitzt Paulinen, der jungen Braut, gegenüber, denkt viel und leidet mit dem Schicksal aller Frauen, die in den Ehen dahinvegetieren, nicht ihre Talente entfalten dürfen und, allein mit dem Genius ihrer Tugend, die Welt retten sollen, vor dem Genius des Bösen, des Mannes gar? Vor der ewigen Schlange, die die ewige Eva und alle ihre Schwestern verführt. Jene Wesen der unendlichen Liebe aus den unendlichen Paradiesen: den »Lilienfluren des Mondes«. Jene Wesen, die unendlich ewiglich in die kalte Welt hinab müssen, in der Hoffnung, von einer anderen ewigen Instanz hierbei wenigstens beschützt zu werden: einem jungen Ritter, vielleicht als dem Genius der Religion. Ich versuche, es mit meinen Worten irgendwie erbärmlich zusammenzufassen. Man möge mir verzeihen.
Dann erhebt Jean Paul im Angesicht der eingeschlafenen Pauline eine Bitte: … Wahrlich, ihr Eltern und Männer, ich stelle dieses quälende Gemälde nicht auf, damit es der wunden Seele, der es gleicht, eine Träne mehr abpresse, sondern euch zeig’ ich die gemalten Wunden, damit ihr die wahren heilt und euere Marterinstrumente wegwerft. …
Weiter dann … Ach du weiche Braut! ich wollte dich sehr rühren durch Erzählen, aber du rührtest mich noch mehr durch Zuhören. Es muß überhaupt noch mehre Paulinen und Jean Pauls in Deutschland geben …
Bei Bindlach
Während Pauline schläft, schreibt Jean Paul weiter, bis … Die Welt ruhte – auf dem Berg sproßte der Mond wie eine geschlossene Lilienglocke heraus – mein Aufsatz war fertig – wir waren den schnellen Berg herab – und ich sagte zur Braut, ich spränge herab und würd’ ihr draußen etwas vorlesen, wenn sie mit abstiege, weil ich drinnen erst das Wagengerolle überschreien müßte.
Wir stiegen beide unten aus unweit einer alten Säule, vor der ich nie ohne einen Seufzer über den rauhen Druck, womit die harten Riesenhände des Schicksals uns weiche Raupen und Gulliver ergreifen und tragen, vorbeigegangen bin; diese Riesenhände schienen heute die Säule wie eine Hermes- und Gedächtnissäule hingestellt zu haben für das schwache Gedächtnis des Menschenherzens. … (Dieser Text ist uns schon bei der Bindlacher Etappe begegnet, etwas zusammengekürzt.) … Pauline wußte von nichts; aber ich führte sie an den unscheinbaren Pilaster und erklärte ihr – indem ich ihrs vorher zeigte –, was die verwitterte brüchige weibliche Gestalt, über die ein Wagen geht, auf der elenden erhobenen Arbeit des Pilasters bedeute. Die umliegenden Dorfschaften berichten nämlich, daß einmal eine Braut, die auf dem Kammerwagen von dem sonst steilern Bindlocher Berg den Armen ihres Bräutigams unter einem Gewitter mit scheugewordenen Pferden entgegenfuhr, unter die Räder gestürzt und vor seinen gemarterten Augen den getäuschten hoffenden Geist aufgegeben habe. Pauline konnte schwerlich, zumal da der Mond hinter dem Abendrauche dämmerte, die verwaschene Skulptur dieses veralteten Jammers mehr lesen; aber ihr getroffnes weiches Herz goß, besonders so nahe an der ähnlichen Lage, gern das Abendopfer einer fortrinnenden Träne über die unbekannte zerstörte Schwester nieder, […]. Und hier neben der Siegessäule der Marter und unter dem großen Himmel der Nacht gab ich Paulinen die kleine Dichtung, die ich hier den Herzen aller ihrer Schwestern bringe. …
Hier folgt nun die kleine Dichtung »Die Mondfinsternis«. Jean Paul endet mit den Worten: … Als ich geschlossen hatte, trocknete Pauline die sanften Augen, die sich unwillkürlich gegen den hellern Mond und seine weiten Flecken aufhoben. Ich schied von ihr – und der Wunsch, den ich hier für alle liebende Schwestern des guten Genius tue, war mein letztes Wort an sie: »Es gehe dir nie anders als wohl, und die kleine Frühlingnacht des Lebens verfließe dir ruhig und hell – der überirdische Verhüllte schenke dir darin einige Sternbilder über dir – Nachtviolen unter dir – einige Nachtgedanken in dir – und nicht mehr Gewölk, als zu einem schönen Abendrot vonnöten ist, und nicht mehr Regen, als etwan ein Regenbogen im Mondschein braucht!« –
Hof im Voigtland, den 22. August 1796.
Jean Paul Fr. Richter.
Etwas Schöneres, vielleicht zum Wesen der Frau, als Wesen gemeint, meine ich, habe ich nie gelesen.
Was für eine Reise! Was für ein »Reisebericht«!
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