23. Vom Idyll in die Bayreuther Vorhölle

Goldkronach – Bindlach (anfangs schöne Etappe)
Goldkronach – Bindlach (anfangs schöne Etappe)

Goldkronach – Bindlach


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Den kompletten Verlauf des Jean-Paul-Wegs finden Sie hier: Literaturportal Bayern

Donnerstag, 27. September 2012. Eine Woche später. Heute Nacht und heute Morgen hat es heftig geregnet, deshalb ziehe ich jetzt meine über zwanzig Jahre alten Wander­schuhe an. Blasen kriege ich in denen keine mehr. Garantiert. 

Wir fahren nach Goldkronach. Die Etappe beginnt hier in dem kleinen, einstigen Goldbergbaustädtchen. Wie der Name andeutet, wurde in dieser Gegend vom Mit­tel­alter bis in die 1920er Jahre Gold abgebaut. Dass das Gold zutage getreten ist, ist auf erdgeschichtliche Brüche und Verschiebungen der Erdkruste zurückzuführen. Bei Goldkronach wurde das Edelmetall nur in einem Berg gefunden. Deshalb erhielt der den Namen »Goldberg«.

Goldkronach, das Goldbergbaustädtchen

Ab 1400 wurde nun im Goldberg in mehreren Gruben nach Gold ge­graben. Anfangs bestand Goldkronach nur aus drei Höfen, aber bald schon fanden hier über 500 Bergleute Arbeit. Es wurde mehr Gold und Silber abgebaut, als in allen anderen Städten des Landes. Nach vielen Auf und Abs des Goldbergbaus kümmerte sich von 1793 bis 1796 auch Alexander von Hum­boldt als preußischer Bergbeamter um die Direktion der Bergämter Gold­kronach, Naila und Wunsiedel. In Bad Berneck hatten wir schon erfahren, dass der junge Wissenschaftler sich in der Gegend aufhielt. Bei seiner Arbeit als Oberbergmeister in Goldkronach war Humboldt vor allem an der Sicherheit der Bergleute interessiert. Er forschte an der Verbesserung von Grubenlampen, Lichterhaltern und Rettungslampen.

Blick auf Goldkronach
Blick auf Goldkronach

Grubengeleucht und Wetter

Das Grubengeleucht ist für den Bergmann weitaus mehr, als nur eine Lampe zum Lichtmachen unter Tage. Zum einen ist die Welt unter Tage ohne künst­liches Licht auf eine Art »sonderbar«. Sie ist schwarz, nur schwarz. Es gibt hier unten kei­nen einzigen natürlichen Lichtstrahl, der die Augen nach einer Gewöh­nung­szeit err­eichen könnte. Es bleibt dunkel, immer. Am Geleucht also klammert sich der Bergmann fest, mit seiner ganzen Seele. Novalis, ein Zeitgenosse Humboldts und Jean Pauls, bedeutender Frühromantiker und Bergbaustudent wird dieses Gefühl des Dunkels mit seinen »Hymnen an die Nacht« weltberühmt machen.

 

Die Grubenlampe dient mit ihrer offenen Flamme, wenn sie erlischt, auch als frühe Warnung vor den schleichend eindringenden, giftigen und todbringenden Grubengasen. Sie ist aber auch Gefah­ren­quell. Sie kann eben diese Gase mit ihrer offenen Flamme zur gewaltigen Explosion bringen. 

Damit im Schacht überhaupt Menschen existieren können, müssen stän­dig die gefährlichen Grubengase abgeführt und Frischluft zugeführt werden. Das Zusammenspiel von Frischluft und Gasen nennt man in der Bergbausprache »Wetter«. Gerät das Verhältnis in ein Ungleichgewicht, entsteht das explosive »Schlagwetter«.

Wie kann man vor Schlagwetter warnen? Wie kann man eine sichere Grubenlampe konstruieren, die keine Gefahr für den Bergmann bedeutet? Das beschäftigte Alexander von Humboldt sehr.

 

Licht und Luft müssen also künstlich hinuntergeschaffen werden, da­­mit Erze – die das Gold enthalten – heraufgeschafft werden können. Wie machte man das mit dem Transport der Erze? Hierfür lebten und starben Kaltblutpferde in den Schächten, bis sie später durch Dampfmaschinen ersetzt wurden. Das Leben dort unten war hart, für jedes Wesen.

 

Alexander von Humboldt erzielte auch Fortschritte bei der Versorgung der Witwen und Waisen verunglückter Bergleute. Und er kümmerte sich um die fachkundige Aus­bildung in modernisierten Bergschulen. Humboldt ging es einzig um die Lebensqualität und Sicherheit der Menschen im Bergbau. Das war ihm wich­tiger als der Gold-Ertrag aus den Gruben.

 

Der Goldbergbau in Goldkronach prägte die Region für Jahrhunderte. Um 1920 gab es sogar eine Fichtelgold-Aktie als Spekulationsobjekt. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor sie völlig an Wert. Der Bergbau wurde nach und nach eingestellt. Doch man erkannte die historische Bedeutung der Gruben und Schachtanlagen. Im Jahr 1981 wurde der Eingang des Schmutzler-Stollens neu eingefasst, der Schacht entwässert und 1985 für Besucher begehbar gemacht.

 

Mehr Infos unter Goldbergbaumuseum Goldkrochach und Goldkronach.de.

Schloss Goldkronach
Wir verlassen Goldkronach, sein Schloss leuchtet noch weit

Es ist schon frisch. Ich hätte mir Handschuhe mitnehmen sollen. Aus Gold­kronach kommt man gut und schön hinaus. Blickt man zurück, sieht man noch von Weitem das hochgewachsene Schloss. Es ist 700 Jahre alt, war einmal Amtssitz für die Verwaltung des Goldbergbaus und diente unter anderem auch Alexander von Humboldt als Arbeitsplatz, sozusagen.

 

Das Fichtelgebirge hinter Goldkronach
Nun adieu, blaues Gebirg ...

Auf einer schmalen, schnurgeraden Asphaltstraße geht es in Richtung eines Badesees, wie auf der Karte zu lesen ist. Aha. Laut Wetter-App sollte es heute nicht regnen, dennoch haben wir Regenschirme dabei. Einen »Knirps« und einen Stockschirm. Wenn’s richtig regnet, bleibt ein Schirm der beste Schutz. Immer.

 

Auf dieser Strecke muss man viel rückwärts schauen, denn da bleibt das uns so vertraut gewordene Fichtelgebirge zurück. Die 18. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten» erklärt uns noch einmal alles genau.

Auf dem Jean-Paul-Weg – 18. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten« mit dem Titel »Auf der südöstlichen Gebirgsfront« – Blick auf Goldkronach
Auf dem Jean-Paul-Weg – 18. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten« mit dem Titel »Auf der südöstlichen Gebirgsfront«

Auf der südöstlichen Gebirgsfront
Der Lehrer von Jean Paul, Th. Helfrecht, hat das Fichtelgebirge um 1800 beschrieben. Es lässt Einblicke zu, wie sich die Landschaft seit dieser Zeit verändert hat.

 

»Auf der südöstlichen Gebirgsfront sieht man zuerst eine lange Leiten von Berneck bis Leisau, auf welche das Dorf Gesees liegt. Die reichen Fruchtfelder mit Buschwerk abwechselnd, dann erhebt sich der steile Leisauer Berg und seinem angenehmen Grün von Laubholz und Buschwerk. Auch seinen jähen Abschluss gegen Goldkronach hat man doch die meisten Plätze zum Feldbau anzulegen gewusst. Die ziemlich kahle Galgenleite und Goldberge, auch etwas weniger als die üblichen Berge und Hügel bewachsen ist, weil mineralische Dämpfe das bessere Wachstum der Vegetation, wechselt mit hohen waldigen Bergen ihre schwarzen Häupter über die unteren Leiten emporstrecken.«

 

Hinweis: Das Städtchen Goldkronach selbst wird von Südosten durch den Leisauer­berg und die Mühlleithen, sowie auf der anderen Seite von dem Goldberge und der Galgenleiten fast gänzlich verdeckt.

Und bei jedem Blick zurück erfreuen uns die schnell wandernden Wolken mit einem neuen Bühnenlicht. Die fernen Berge und das schwindende Städt­chen, ein­­mal tiefgrau und schwer behangen, dann wieder weithin glit­zernd, wie mit Goldstaub bepudert. 

Hinter Goldkronach – Blick zurück auf das Fichtelgebirge
Hinter Goldkronach – Blick zurück auf das Fichtelgebirge

Die Schlehenhecken tra­gen Schlehen und die Eichen, in munteren Grüppchen versammelt, Eicheln. 

Sind die aber gesellig! Finde ich. Arglos munter am Plauschen. 

»Passt auf«, will ich sie warnen. »Im Herbst kommen die Eichhörnchen und holen euch! … Wie, das ist gar nicht so schlimm? … Ach, ihr könnt in ihren Vorratskammern dann weiterschwatzen? Und Eichhörnchen vergessen, meint ihr? … Ah, Hoffnung darauf, ein Bäumchen zu werden, gibt es immer!«

Ich bin sprachlos.

 

Auf dem Sträßchen zum Badesee sind die entgegenkommenden Autofahrer freundlich und fahren langsam an uns vorbei. Der kleine See macht uns Spaß. Gerade ruht er sich aus, erholt sich von der aufregenden Sommersaison. Er heißt nur »Badesee«, darf aber eine eigene Facebook-Seite haben. 

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Heute freut sich Stationstafel 97 von uns gelesen zu werden.

Schulstunden in Lachen und Lächeln

 

Der Rektor, welcher gerne glaubt, ein Schulherr müsse seine Scholaren auf Reisen zu belustigen trachten, […] gab ihnen Befehle zum Lachen, setzte sie um sich herum und scherzte ihnen an einem ovalen Tische nach Vermögen vor.

 

›Wir werden heute‹, sagt’ ich in der obern Stube zu den Mimikern, ›Menschen von dem vornehmsten Stande sehen müssen, wir werden uns ins Schulgebäude und in das Billard verfügen – überhaupt werden wir in einer Stadt (Hof) auf- und abschreiten, die den Ruhm äußerer Politur schon lange behauptet und in der ich am wenigsten wollte, daß ihr den eurigen verspieltet – zum Beispiel: wie würdet ihr lächeln, wenn ihr auf Ansuchen in Gesellschaft etwas zu belächeln hättet? Monsieur Fechser, lächl’ Er saturisch!‹ Er trafs nicht ganz – ich linierte ihnen also auf meinen Lippen jenes feine, wohl auseinandergewundne Normal-Lächeln vor, das stets passet; darauf wies ich ihnen das peccierende (fehlerhafte) Lachen, erstlich das bleirechte, wo der Spaß den Mund, wie ein Pflock den Eber-Rüssel auf dem Pürschwagen, aufstülpt, zweitens das waagrechte, das insofern schnitzerhaft werden kann, wenn es den Mund bis zu den Ohrlappen aufschneidet.

Mein Auditorium kopierte mein Lächeln nach, und ich fand solches zwar richtig, aber zu laut. Nun wurden Verbeugungen rekapituliert, und ich nahm alle gymnastische Übungen der Höflichkeit bis auf die kleinste Schwenkung durch.

 

Jean Paul »Des Rektors Florian Fälbels und seiner Primaner Reise nach dem Fichtelberg«

So etwas kenne ich doch! Das mache ich mit meinem »Herrlich!« ungefähr genau so. Jou, auch ich habe ein geheucheltes Lächeln! 

 

Weiter nach Kottersreuth, …

Wegweiser auf dem Jean-Paul-Weg zwischen Goldkronach und Bindlach
Auf dem Jean-Paul-Weg zwischen Goldkronach und Bindlach

… einem kleinen Dorf mit prall gefüllten Apfel­bäumen, Sandsteinhäuschen und Fensterläden.

Ein wirklich idyllisches Dorf. Man hat das Gefühl, hier wohnen lauter Lehrer. So ein bisschen intellektuelle Leute, die in der Stadt arbeiten und betulich auf dem Land wohnen, einen Garten haben, Leitern unter Obstbäumen, Zinkwannen mit Blumen vor dem Haus, eine Tochter, die reitet, eine Katze, die auf der Fensterbank wartet und Geborgenheit, die mit Gießkannen verteilt wird. 

Auf dem Jean-Paul-Weg  in Kottersreuth – Stationstafel 98 »Dorfschule als Realschule« vor einem alten Sandsteinhaus
Auf dem Jean-Paul-Weg in Kottersreuth – Stationstafel 98 »Dorfschule als Realschule«

Wie wunderbar fügt sich hier Stationstafel 98 ein, so als ob sie im Vorgarten gewachsen wäre.

Dorfschule als Realschule

 

Da man bisher aus so vielen Studierstuben heraus nach Realschulen schrie: so hörten es Gemeinden und Schulhalter und taten das Ihrige gern. Die Gemeinden lasen für ihre Lehrstühle lauter solche pädagogische Steiße aus, die schon auf Weber-, Schneider-, Schuster-Schemeln seßhaft waren und von denen also etwas zu erwarten war – und allerdings setzen solche Männer, indem sie vor dem aufmerksamen Institute Röcke, Stiefel, Fischreusen und alles machen, die Nominalschule leicht in eine Realschule um, wo man Fabrikate kennen lernt. Der Schulmeister treibts noch weiter und sinnt Tag und Nacht auf Real-Schulhalten; es gibt wenige Arbeiten eines erwachsenen Hausvaters oder seines Gesindes, in denen er seine Dorf-Stoa nicht beschäftigt und übt, und den ganzen Morgen sieht man das expedierende Seminarium hinaus- und hineinjagen, Holz spalten und Wasser tragen u. s. w., so daß er außer der Realschule fast gar keine andre hält und sich sein bißchen Brot sauer im Schweiße seines – Schulhauses verdient ....

 

Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«

Ich sehe schon das expedierende Seminarium vor mir, eine Schar von Schülern, die Holz hacken und spalten übt, der Lehrer Pfeife rauchend draußen auf der Hausbank sitzt und ruhig mit gelehrigen Kommentaren Unterricht vor­täuscht. Im Haus dürfen ein paar besonders artige Schüler den Ofen an­schüren. Dicker Qualm steigt aus dem Schornstein und quillt auch aus dem offenen Stubenfenster. Es ist ein früher und noch warmer Herbsttag. Die Sonne steht hoch und heizt den Kamin so stark auf, dass es den Rauch zurück durch den Ofen in die Stube drückt, und die Schüler laut hustend mit Tüchern wedeln. Der Lehrer wirft seine Pfeife ins Beet und stürzt fluchend ins Haus hinein. Aus ist es mit seinem heimlichen Päuschen.

Erklärung »Realschule«

Heute versteht man unter »Realschule« eine weiterführende Schule, die zwi­schen Hauptschule und Gymnasium angesiedelt ist. Der Abschluss führt zur Mittleren Reife. Zu Jean Pauls Zeiten galt die »Realschule« als moderner Schulversuch, der mit neuzeitlicher, realer Bildung, den Schülern eben mehr das reale Leben beibringen wollte, als nur graue Theorie und fremde Sprachen.

Auf dem Jean-Paul-Weg – hinter Goldkronach und Kottersreuth
Auf dem Jean-Paul-Weg – hinter Goldkronach und Kottersreuth

Leicht bergwärts kommen wir an einem Aussiedlerhof vorbei. Leider kann ich heute nicht mehr rekapitulieren, ob es sich hierbei um den Ort Katzeneiche handelte. Jedenfalls war bei dem Aussiedlerhof eine Baustelle, bei der eine Oma die Rüttelplatte geführt und so in der großen Einfahrt eigenhändig den Boden verdichtet hat. Ich fand das lustig. 

 

Etwas abseits steht eine Schubkarre voller Äpfel. Dieser Herbst ist wirklich sehr apfelreich. Immer wieder begegnen wir Bildern, die davon erzählen.

Schubkarre voller Äpfel
Reiche Apfelernte 2012

Früher gab es auch in Zwergdörfern Zwergschulen, heute nicht einmal in Dörfern Dorfschulen. Ich habe es noch erleben dürfen, ein wenig. Wovon, das erzählt uns Stationstafel 99.

Auf dem Jean-Paul-Weg in Katzeneiche – Stationstafel 99 »Dorfschule als Zwergschule«
Auf dem Jean-Paul-Weg in Katzeneiche – Stationstafel 99 »Dorfschule als Zwergschule«

Dorfschule als Zwergschule

 

[…] eine Dorfschule sei hinlänglich besetzt. Es ist da 1) der Gymnasiarch oder Pastor, der von Winter zu Winter den Priesterrock umhängt und das Schulhaus besucht und erschreckt – 2) steht in der Stube das Rektorat, Konrektorat und Subrektorat, das der Schulhalter allein ausmacht – 3) als Lehrer der untern Klassen sind darin angestellt die Schulmeisterin, der, […] die Töchterschule anvertraut werden kann, ihr Sohn als Tertius (Dritter) und Lümmel zugleich, dem seine Zöglinge allerhand legieren und spendieren müssen, damit er sie ihre Lektionen nicht aufsagen lässet, […] – 4) endlich ein ganzes Raupennest Kollaboratores (Mitarbeiter), nämlich Schuljungen selber, weil daselbst, […] die Schüler der obern Klasse schon zu Lehrern der untern groß gewachsen sind.

 

Jean Paul »Leben des vergnügten Schulmeisterlein Maria Wutz in Auenthal«

 

 

Die Schulstube oder vielmehr die Schularche faßte Abc-Schützen, Buchstabierer, Lateiner, große und kleine Mädchen – welche wie an einem Treppengerüste eines Glashauses oder in einem alten römischen Theater, von Boden bis an die Wand hinaufsaßen – und Rektor und Kantor samt allem dazugehörigen Schreien, Summen, Lesen und Prügeln in sich. Die Lateiner machten gleichsam eine Schule in der Schule.

 

Jean Paul »Selberlebensbeschreibung«

Und doch müssen wir auch aus diesem Idyll hinaus- und weiterwandern.

Hätte ich nicht bereits mit Traurigkeit zu kämpfen, mich würde sie spätes­tens an manchen Stellen der – eigentlich idyllisch gemeinten – Dörfer gänzlich überwältigen. Wir erreichen den Ort Deps. Es geht gleich los, Hallen-Qualen, Schrott, Auto­­reifen­gebirge, Siloanlagen, Kälberiglus, nothing was made with love. Und dann entdecken wir just die Landmaschinen wieder, die auf dem Galgenberg hinter Bad Berneck die Natur zugedröhnt haben. So weit fahren die also.

In Deps
In Deps

Nein, ich bin nicht gegen moderne Landwirtschaft. Ich weiß, es gibt auch die anderen Bauern. Aber warum gibt es so viele, die offensichtlich kaum darüber nachdenken, wohin dieser Profitwahn führen wird. Spüren sie denn nicht selbst, dass etwas nicht stimmt? Spürt denn der Schweinemassen­mäster oder Geflügelmassenzüchter nicht, dass er seine Tiere quält? Dass Men­schen gefolterte Tiere nicht essen wollen? Ich die schockierenden Bilder unserer tierischen Lebensmittelproduktion nie wieder vergessen kann? Ich an keinem Schlachthof vorbeifahren kann, ohne Panikattacken zu kriegen. Das ist wirklich wahr! Die Agrarindustrie ist gewalttätig. Gegen die Natur, gegen die Tiere, gegen die Verbraucher, gegen ihre eigenen Mitarbeiter und in letzter Konsequenz gegen sich selbst.

 

Wir wollen schnell raus. Aber wir finden den Weg nicht. Wo geht es hier weiter? Keine Jean-Paul-Weg-Markierungen in Sicht. Wir irren wie Verwirrte umher, wir fragen nach, keiner weiß etwas von einem Jean-Paul-Weg.

»Wie heißt der Weg?«, will eine Frau genau wissen und antwortet dann, »na, i weiß nur den Weg nach Bindlach, des is a Fuß­­weg, da müssens da hinten durch den Hof«, und sie zeigt uns, wo es lang geht. 

Oh, Gott, denke ich. Schon wieder Schrott, Kettenhund, Kälberiglus mit einsamen Kälbern, hoffentlich schlachten sie nicht gerade eine Kuh, hoffent­lich lauert nicht schon wieder ir­gendwo eine Schockgefahr. Aber wir schaffen es durch den Hof, finden allerdings keine Wegweiser mehr, laufen trotzdem weiter, weil der Bindlacher Berg so nahe scheint, man sieht ihn fast schon. Wir sagen uns, egal, ob Jean-Paul-Weg oder nicht, Hauptsache Bindlach. 

 

Auf einer Asphaltstraße geht es bergan. Wir kommen auf das Gelände der ehe­maligen US-Kaserne am Bindlacher Berg. Die alten Kasernenwohnblocks stehen noch und werden heute zivil genutzt. Für uns bedeutet das im Augen­blick Straßenwirrwarr und wehe Füße. Vor uns ein seltsames Anwesen, dass sich dann als Altenheim entpuppt. Es sieht aus wie ein Psychia­triegebäude aus dem Dritten Reich, obwohl es von außen frisch gestrichen ist. 

»Nie will ich als alte Frau hier landen«, sage ich zu Peter.

 

Dann ist ganz plötzlich und unvermittelt ein kleines, rotes, altes Feuerwehrautochen hinter dem Altenheim auf einem Platz geparkt.

Wir lesen die noch mit Hand gemalte Aufschrift: »Freiwillige Feuerwehr Unterailsfeld«.

 

So eine kleine weiße Schrift auf rotem Untergrund zaubert mit einem Mal eine Glücks­pilz-Kolonie mitten in unseren finsteren Tann. Erinnerungen an unsere Zeit, als wir sieben Jahre im Fränkische-Schweiz-Örtchen Behringersmühle, unter­halb von Gößweinstein, wohnten und arbeiteten. Das ist nicht weit von Oberailsfeld entfernt, sechs schöne Kilometer durchs Ailsbachtal, vorbei an Unterailsfeld.

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Geschichten aus dem Ailsbachtal

In Oberailsfeld gibt es ein wunderschönes Gasthaus. Es gehört seit Genera­tionen (über 300 Jahre) der Familie Polster, und die »Brauerei Held-Bräu« gehört auch dazu. Wie viele Abende und Nächte haben wir hier in der Gaststube auf der warmen Kachelofenbank wohl zugebracht? Gut versorgt mit dem köstlichen braunen Bier, von Helmut Polster selbst gebraut und aufmerksam gezapft. In einem fränkischen Gasthaus trocknet man nie aus. Der ein bisschen scheue Helmut setzte sich oft zu uns, und auch seine Frau Gertrud. Sie schenkte uns Jahr für Jahr die gute »KirschMa«. Gemeint war »Kirschmarmelade«. Für mehr Buchstaben war auf dem Etikett kein Platz.

 

Während dieser Zeit wuchsen, auch für uns sichtbar, die »Polsterkinder« auf. Der Sohn lernte Braumeister, die Töchter halfen beim Bedienen, besonders während der Kirchweih, dann in der hauseigenen »Felsen-Bar«. Die Töchter, auch eher still, ganz wie Helmut und Gertrud, aber hinter der Theke immer der Kracher des ganzen Festes. Wegen ihrer extra auftoupierten Löwenmähnen kamen die Gäste schon mal in Wallung und meinten, Shakira wäre nichts dagegen. Sonntags kamen die Verehrer dann scharenweise zum Bräten-Essen nach Oberailsfeld. Das alles genossen wir ebenso still.

 

Ganz anders ging es uns beim alljährlichen »Stärkeantrinken« am 6. Januar. Da geht man in Franken schon früh um zehn ins Wirtshaus und trinkt den ganzen Tag Starkbier, damit man für das kommende Jahr gewappnet ist. 

An einem solchen Dreikönigstag begleitete uns ein Zimmermann, der auf seiner Walz schon drei Monate bei uns überwinterte, und ausgerechnet am 6. Januar Geburtstag hat. Er stellte sich immer als »Kunze Chemnitz« vor, weil er aus Chemnitz war. Es bot sich an, ihn ins Stärkeantrinken einzuführen. An jenem 6. Januar, das muss wohl 1997 gewesen sein, wurde dann alles »hinten höher wie vorne«. Die schon betagte, aber sehr gesellige Pia aus Behringers­müh­le – Gott hab’ sie selig – war mit dabei. Die Anwesenheit des jungen, stattlichen Zimmermanns genoss sie für alle erkennbar sehr. An diesem Tag wurde sie nicht nur stärker, sondern auf sonderbare Weise auch jünger. Stunden saßen wir warm um den Stammtisch herum, draußen schneite es, dann kamen Klöße und Schäufele und zu guter Letzt auch noch ein anderer Zimmermann aus Unterailsfeld. Als sich herausstellte, dass er ebenso ein Rolandsbruder (Gesellen­vereinigung Rolandschacht) wie »Kunze Chemnitz« war, flossen die Biere endlos. Dass man als Frau so viel vertragen kann, darüber wunderte sich Pia noch lange.

 

In Oberailsfeld gab es auch ein Bäckerehepaar der besonderen Art. Ihre Namen haben wir leider vergessen. Die beiden waren schon alt, eigentlich längst in Rente, aber sie buken weiter in ihrer Backstube und verkauften alles in ihrem Laden. Beide, Backstube und Laden, stammten aus längst ver­gan­gener Zeit, und alles sah so aus, als ob seit Jahren nie jemand geputzt oder aufgeräumt hätte, ehrlich. Aber die Krapfen, die Hörnla, die Christstollen, sämt­liches Gebäck war auch irgendwie jenseits dieser, unserer Zeit. So köstlich! Alles roch nach Hefe und Butter, man stieg in diesen Duft hinein und aß sich durch ihn hindurch. Aus Nürnberg sogar kamen die Kunden gepilgert. Mitt­wochs, immer wenn es die guten Krapfen gab, sah man sie vor der Bäckerei Schlange stehen.

 

Auch fuhr der alte Bäcker noch täglich seine Bredla (Brötchen) im Ort aus. Ja, er besaß ein Auto. Allerdings ging bei dem Wagen die Fahrertür nicht mehr auf, was ihm aber nichts machte, er kletterte einfach durch die Heck­klappe ans Steuer. Eines Tages, der Backofen war wohl kaputt, hatte er keine Bredla zum Ausfahren. Aber pflichtbewusst wie er war, fuhr er bis Abends im ganzen Ort von Haus zu Haus, nur um allen zu verkünden, dass es heute keine Bredla geben wird.

 

Von weit pilgert man zur Held-Bräu nach Oberailsfeld. Damals, nahezu einmal im Monat, meist samstags, kam immer eine junge Familie mit ihren Drillingen. Den ganzen Tag verbrachten sie am Stammtisch. Die Kinder malten oder gingen raus zum Spielen. Der Papa saß Pfeife rauchend, damals durfte man das in Gaststuben noch, bei Helmut und genoss Bier für Bier den Heldenstoff. Die Drillinge waren jedes Mal für alle die Schau. Papa erklärte uns, er wäre vom »Pfeife-Club« aus Miltenberg und den Besuch beim Held würde er sich einmal im Monat »gönne«, egal, was käme.

 

Hier, bei Bindlach, steht nun also das Autochen aus Unterailsfeld auf dem Platz, einsam, wie hoffentlich nicht die alten Leutchen von nebenan. Wir irren um­her, finden uns auf einer viel befahrenen Straße wieder, fragen uns, sind wir hier überhaupt richtig? Offensichtlich ja, denn hier ist Stationstafel 100.

Auf dem Jean-Paul-Weg am Bindlacher Berg – Stationstafel 100 »Am Bindlacher Berg«
Auf dem Jean-Paul-Weg am Bindlacher Berg – Stationstafel 100 »Am Bindlacher Berg«

Am Bindlacher Berg

 

Als wir den ausgestreckten Bindlocher Berg hinunterfuhren: nahm die Vertiefung uns die vor Freude wallende Sonne. Die Welt ruhte. Auf dem Berg sproßte der Mond wie eine geschlossene Lilienglocke heraus. Wir stiegen beide unten aus, unweit einer alten Säule, vor der ich nie ohne einen Seufzer vorbeigegangen bin.

 

Ich führte Pauline an den unscheinbaren Pfeiler und erklärt ihr, was die verwitter­te, brüchige weibliche Gestalt, über die ein Wagen geht, bedeute. Die umliegenden Ortschaften berichten nämlich, dass einmal eine Braut, die auf dem Kammerwagen hier den Armen ihres Bräutigams unter einem Gewitter mit scheugewordenen Pferden entgegenfuhr, unter die Räder gestürzt und vor seinen gemarterten Augen den getäuschten hoffenden Geist aufgegeben habe.

 

Jean Paul »Leben des Quintus Fixlein« (Text geändert)

Von der menschlichen Festplatte, dem Gehirn, lässt sich nichts löschen. Einmal erlebt, immer erinnert.

 

Jetzt haben wir den Weg wieder gefunden. Wir sind am Bindlacher Berg, im Ort Namens Bindlacher Berg

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Auf einer Panzerstraße geht es nun weiter, LKW rauschen an uns vorbei, aber es bleibt das Gefühl, nicht richtig zu sein, und wir suchen nach Wegweisern. Dann, auf der Rückseite eines Verkehrsschildes klebt wieder »Jean Paul«. Also doch, hier geht es lang.

»Da hinten Peter, ist das nicht eine Jean-Paul-Weg-Tafel?« rufe ich. Und: »Ich lauf mal vor gucken!« 

Links neben mir erste Wohnhäuser, rechts ein großes Magerwiesengebiet mit Trampelwegen. Warum geht es nicht da lang? Wäre doch schöner. Ich komme zu einem großem Bauschild und erkenne jetzt, dass neben der Panzerstraße sogar ein Radweg verläuft, den offensichtlich die Bewohner des Seniorenheims mit ihren Rollstühlen gerne nutzen. 

Auch die 19. Tafel »Landschaft zu Jean Pauls Zeiten« leidet.

Durch ehemalige Weideflächen

 

Die kartenmäßige Erfassung der Landschaften war um 1800 eine bahnbrechende Entwicklung, die uns heute die Landschaft zu Jean Pauls Zeiten nachvollziehen lässt. Damals waren die heute wieder weitgehend mit Wäldern und Gebüschen bestandene Geländekanten um den Bindlacher Berg, wie es die geheime Militärkarte des Markgrafen Alexander ca. 1780 zeigt, weitgehend baumlos.

Bis in das 20. Jahrhundert wurden die Flächen als Viehweide genutzt. Wenigen ist bewusst, dass die Energie, die Transportkraft für Fuhrwerke und Menschen, damals aus den landwirtschaftlichen Flächen (das Futter für Pferde und Ochsen) erwirtschaftet wurde. Die ab 1800 eingeführte Stallhaltung, die Verbesserung der Weideflächen und das Aufforsten der zu steilen Flächen führten zu mehr Futter und zum Zuwachsen der Hänge.

Aber es gibt einen Trost. Die alte Poststraße. Jetzt liegt sie vor uns, kerzengerade und sehr steil. Eine Straße, die man bewältigen muss, ob bergauf oder bergab. Menschen, die sich auf nebenanliegenden Wiesen nach Äpfeln bücken, begleiten uns … ach so, nein, dieses Mal sind es Walnüsse, die sie sammeln.

Wir sammeln derweil Stationstafel 101.

Alte Poststraße

 

Spät erblickte er ihn auf der hinter dem Dorfe Bindloch aufsteigenden langen Anhöhe, einer Bergstraße im eigentlichen Sinne, auf der weder ab- noch aufwärts zu eilen war. Nach Vermögen schnell watete Leibgeber hinauf, um den Advokaten unerwartet einzuholen schon vor Hof, etwan in Münchberg oder in Gefrees, wenn nicht gar in Berneck, das wenige Post-Stunden von Baireuth abliegt.

Aber sollte alles nicht noch zehnmal besser gehen? Erblickte nicht Siebenkäs am Fuße des Berges ihn endlich oben unweit der Gipfelebene und rief seinen Namen, und er hörte es nicht? Lief er nicht außerordentlich mit dem Schnupftuch in der Hand dem langsamen bergmüden Freunde nach, und kehrte dieser sich oben nicht zufällig und zum Überschauen der sonnigen Landschaft um und sah ganz Baireuth, ja zuletzt gar den – laufenden Freund? – Und stießen endlich nicht beide, der eine bergab, der andere bergauf eilend, aneinander, aber nicht wie zwei feindliche Heere, sondern wie zwei bekränzte schäumende Becher der Freude und der Freundschaft? –

 

Jean Paul »Siebenkäs«

Auf dieser Straße spazierend, mit einem so schönen Oben und Unten, wo man sich so herrlich von weit zuwinken kann, denkt es sich sofort: Einmal möcht’ ich in meinem Leben auch in solch überfreudiger Freundschaft einem anderen entgegen­eilen. Aber wenn ich darüber nachdenke, wie oft ich das gemacht habe, muss ich feststellen, wie selten oder gar nie es war.

 

Ein Radfahrer kommt uns entgegen, nicht fahrend, hier und heute muss er schieben. Von oben sausen jauchzende Kinder auf ihren Rollern vorbei. Echt mutig, staunen wir. Die können es!

 

Langsam nähern wir uns dem eigentlichen Ort Bindlach. Bindlach liegt kurz vor Bayreuth. Erste Häuser eines Wohngebietes tauchen auf, die nächste Bushaltestelle ist nicht mehr weit. Trotz meiner alten Wanderschuhe bren­nen die Fußballen, die Ge­lenke schmerzen. Ich verstehe das nicht, denn in den Schuhen haben meine Zehen viel Platz. Ich glaube, ich will meine Latschen wieder zurück. Wahrscheinlich sind die langen Wege über Asphalt das Problem. Man glaubt kaum, was das ausmacht. 

 

An der Bushaltestelle müssen wir noch fast eine Stunde auf den nächsten Bus warten. Leider gibt es hier keine Bank. Das ist hart, wenn man nicht mehr stehen kann. Nun denn, ich laufe mit Fidel trotzdem ein bisschen in Richtung Wohngebiet. Peter studiert währenddessen den Busfahrplan. Die A9 ist nicht weit, man hört und sieht sie und dahinter auch, schön in dramatischem Licht, das Fichtelgebirge.

Bushaltstelle in Bindlach – im Hintergrund das Fichtelgebirge
Bushaltstelle in Bindlach – im Hintergrund das Fichtelgebirge
Im Hintergrund das Fichtelgebirge
Im Hintergrund das Fichtelgebirge

Zurück an der Bushaltestelle bemerke ich, dass Fidel mit kleinen Kletten übersät ist. Ich meine zu Peter: »Schau, wir haben keinen Kettenhund, wir ha­ben einen Klettenhund.« 

Da kann ich ja im Bus gemütlich Kletten pulen, denke ich mir.

 

Wie immer besteige ich die Busse den Pudel auf dem Arm tragend. Was zei­gen soll: Dieser Hund ist so klein, dass er keinen Sitzplatz beanspruchen wird, also nichts kosten sollte, was auch meistens so akzep­tiert wird. Der heutige Busfahrer jedoch sieht das anders und will 80 Cent Fahrgeld für Fidel. Peter zahlt einfach, heute haben wir keine Lust auf Diskussionen.

Peter meint zu mir: »Ich glaube, der hat schlechte Laune. Wenn es ihm für 80 Cent besser geht, dann wuppen wir das.«

 

So holpern wir langsam wieder die alte Panzerstraße zurück nach Bad Berneck, dann umsteigen nach Goldkronach.

Im Bus zurück nach Bad Berneck und dann nach Goldkronach
Im Bus zurück nach Bad Berneck und dann nach Goldkronach

In Goldkronach dann, kehren wir ein, finden ein nettes Bierstüberl, sind aber ganz allein. Weil im Nebenzimmer eine Seniorengruppe feiert, werden wir vergessen. Dann ist für uns heute auch noch die Portion zu klein und zu teuer und das Bier ein Plörre-Bier. Unser Belohnungszentrum wird so nicht belohnt.

 

Wen es interessiert: Es war das Hotel Meister Bär in Goldkronach. Es handelt sich hier um eine Hotelkette, nicht um eine Brau-Stube im klassisch fränkischen Sinn.

Jan Burdinski und Jean Paul

Heute Abend treffen wir in Hollfeld – wir fahren ja jetzt nach den Etappen immer nach Hause – Jan Burdinski auf der Straße. Wie immer ist er in Eile, dabei weht sein halblanges Haar nach hinten, ganz wie bei Otto Waalkes. 

 

Jan ist seit unzähligen Jahren Intendant und Faktotum des Fränkischen Theatersommers und auch gefragter Schauspieler und Rezitator. Da der Sitz des Theatersommers in Hollfeld ist, begegnet man Jan Burdinski häufig. Er ist ein bekannter, bunter Hund, wenn man das so sagen darf. Wir haben ihn gern. Außerdem war er später ein täglicher Gast in unserer Kaffeestube »MärchenWinkel«, die es heute nicht mehr gibt. 

 

Jan ist kuchensüchtig und wollte ohne meine selbst gebackenen Werke nicht mehr leben. Deshalb kam er auch an Ruhetagen vorbei, immer hoffend, noch Reste zu ergattern und ein bisschen Theatersorgen los zu werden. Heute ver­missen wir uns sehr! Auf seine Frage damals, wie es uns ginge, erzählten wir, dass wir gerade den Jean-Paul-Weg wandern würden. Jan meinte dazu, er käme mit Jean Paul nicht klar. Er hätte ihn einmal rezitieren sollen, das habe er aber abgelehnt. Er verstünde Jean Paul einfach nicht.

 

Natürlich wissen wir, warum Jan nicht mit Jean Paul klarkommt: Jan ist kein Biertrinker. Jan selbst läuft zwar auch viel zu Fuß und schnell, wie Jean Paul, so viel wissen wir, nur, Jan läuft aber nicht hin zu einem braunen Bier, wie Jean Paul das gerne tat. Jan würde auch nie hin zu etwas laufen. Wenn Jan läuft, heißt das, er läuft eher mehr weg – (eigentlich immer weiter, muss er ja auch, er ist ständig auf einer Art Durchreise) – also sozusagen mehr weiter weg als hin, hin zu etwas. Wie Jean Paul hin zum Bier. Versteht mich einer?

 

Morgens lesen wir im Bett immer über Jean Paul und von ihm, abwechselnd in verschiedenen Büchern. 

Ich frage Peter: »Wo bist du gerade?« 

»Bei mir ist er jetzt in Weimar.« 

»Bei mir auch, wie witzig.«

 

 

PS:

Ich glaube, ich muss noch sagen, dass das mit der »Bayreuther Vorhölle« sich so verhält, dass, wenn man aus der Landschaft heraus in eine Stadt wandern muss, man ganz schlecht die sich dabei steigernde Hektik ertragen kann. Sie kommt einem durch den Kontrast zur Stille übermächtig vor. So gesehen hat also jede Stadt eine Vorhölle. Bayreuth selbst trifft natürlich keine Schuld. Man möge mir verzeihen.

Wichtig: Jean Paul hat die Region Bad Berneck – Goldkronach – Bindlach als Bayreuther Vorhimmel bezeichnet und Bayreuth selbst als seinen Himmel.

 

 

PPS:

Im November 2018 hat uns Jan hier in Ronneburg besucht. Natürlich kamen wir wieder auf Jean Paul zu sprechen – und ließen ihn nicht mehr los, bis in die späte Nacht hinein. Jan kam auf Gott und Jesus und die unsterbliche Macht, genannt Liebe, die den Menschen nur durch Schwäche zuteilwerden kann. Außerdem gäbe es schwache Menschen gar nicht. Nur die Scheinstarken reden so daher, sagte er noch. Ich glaube, Jan hat Jean Paul besser verstanden als er denkt.

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